Ein Debüt wie ein Hochseilakt, von einem schwindelerregenden neuen Talent
»Diese Erzählungen werden Sie nicht mehr loslassen. Sie werden Sie verändern. « Jonathan Safran Foer
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Ein Debüt wie ein Hochseilakt, von einem schwindelerregenden neuen Talent
Ein Paar wacht in einer Ferienhütte im Wald auf und stellt fest, dass es in der ewig gleichen Idylle gefangen ist. Doch anders als sie selbst scheint ihr kleiner Sohn nicht zu altern. Ein Mann findet seine ältere Nachbarin tot in deren Wohnung vor und beginnt eine aberwitzige Verfolgungsjagd. Ein anderer willigt ein, mit einer Frau zu schlafen, während ihr Freund aus dem Schrank zusieht, und kommt dem seltsamen Geheimnis des Paars auf die Schliche.
Als wären sie dem kollektiven Albtraum unserer Zeit entsprungen, oszillieren die Geschichten in diesem Band zwischen dem Profanen und Bizarren, dem Vertrauten und Verstörenden. Zach Williams erzählt vom Grauen der Begegnung mit dem ganz und gar Unbekannten - und zeigt, dass wir unsere Wirklichkeit letztlich nur bewohnen wie ein Puppenhaus.
Übersetzt von Bettina Abarbanell und Clemens J. Setz
»Voller Ironie und Absurdität, ohne je gerissen, clever oder gewollt witzig zu sein. Da treten Überraschungen, Wahrheiten und Dinge zutage, von denen wir nicht zu träumen gewagt hätten. « Percival Everett
»Hin und wieder tritt ein Schriftsteller in Erscheinung, der, so scheint es, ein Gespür hat für das nicht ganz Rationale, für eine Stimmung oder ein Gefühl, das unter der Oberfläche der Dinge schlummert. Zach Williams ist ein solcher Schriftsteller. Seine hinreißend beunruhigenden Erzählungen sind profund im wahrsten Sinne des Wortes: sie gehen in die Tiefe. « Hari Kunzru
»Ein brillantes Debüt. « Jeffrey Eugenides
»Zach Williams' erster Erzählungsband kündigt ein wahrhaftig neues Talent an, eines, das geschickt die dunkleren Abgründe der menschlichen Psyche sondiert. « The New York Times
Besprechung vom 15.04.2025
Äpfel im Schlafrock mit 3259 Kalorien
Zach Williams, Jahrgang 1978, ist ein David Lynch des Erzählens: "Es werden schöne Tage kommen"
Eine junge Kleinfamilie bezieht ein abgelegenes Ferienhaus, nur von Sauerkleewiesen und Bergwäldern umgeben, und richtet sich dort für den Sommer ein. Der Vater bemerkt stirnrunzelnd, dass hier einiges im Argen liegt - der Küchenherd wackelt, die Matratzen sind durchgelegen -, doch der Idylle tut das keinen Abbruch. Eher schon die Tatsache, dass sich die Eltern eines Abends, als ihr Kleiner schläft, unbequemen Fragen stellen müssen: "Zum Beispiel ihr Auto: Wo war es? Es gab nicht mal eine Einfahrt. Hatte jemand sie hergefahren? Von wem hatten sie das Haus gemietet? Und für wie lange? Wie viel Zeit war vergangen, bis sich diese Fragen zu regen begonnen hatten? Und wie lange würde es dauern, bis diese Fragen dringlich würden?"
Der englische Text beschreibt diesen Moment, da den Figuren alle Selbstorientierung zu entgleiten droht, mit den bezeichnenden Worten: "talk their way along the edges of the hard questions", wörtlich also, dass sie an den Rändern der schweren Fragen entlangreden. Damit setzt er ein Leitmotiv für diese Geschichte und den gesamten Band. Immer wieder sind es Randgänge, Grenzerfahrungen, Schwellenerlebnisse, denen die Figuren ausgesetzt werden, um auf diese Weise die Komfortzonen eines eingefahrenen Lebens hinter sich zu lassen und eine ungesicherte, zuweilen katastrophisch andere Welt aufzusuchen oder von ihr heimgesucht zu werden. "Jacob sagte, er wolle den Rand finden, falls es so etwas gab. Wenn das Sauerkleehaus Teil der wirklichen Welt war, dann würde der Rand eine Straße sein oder eine Siedlung - der Rand ihrer Abgeschiedenheit." Ob er den Rand jemals erreicht und, falls ja, ob seine Erwartungen sich dort erfüllen, bleibt offen. Jedenfalls ist er eines Tages verschwunden und überlässt Frau und Kind ihrem Schicksal, das immer beklemmender wird und immer bizarrere Wendungen nimmt. Bis der Schlusssatz der Geschichte, der zugleich den Titel des gesamten Bandes bildet, mit der Ankündigung "schöner Tage" überrascht. Man kann ihm kaum glauben.
Durchweg dominiert das Misstrauen. In der Folge der zehn Storys, die hier präsentiert werden, ist "Sauerkleehaus" eine der längsten und die einzige, die nicht in Ich-Perspektive erzählt wird. Bei allen anderen bleibt man beim Lesen auf die Wahrnehmungs- und Mitteilungskraft von Erzählern - es sind ausschließlich Männer - angewiesen, denen man nicht trauen mag, weil ihre Zurechnungsfähigkeit fraglich erscheint. Nicht nur was das Albtraumhafte der Szenarien angeht also, sondern auch in dieser Hinsicht, dass ihre Vermittlungsinstanzen oftmals unzureichend oder unzuverlässig sind, zollen diese Storys dem Erfinder und Großmeister des Genres, Edgar Allan Poe, Tribut. Mit lustvoller Raffinesse versetzen sie ihre Protagonisten wie auch Leser aus der Alltagswelt auf schiefe Bahnen, die bald sämtliche Gewissheiten ins Rutschen bringen.
Ein drohender Schneesturm treibt einen Computernerd sonntags ins Großraumbüro, wo ihm ein Security-Mann und ein Kollege durch paranoides Gerede zusetzen; doch erst die Rückkehr nach Hause entlässt ihn in den eigentlichen Albtraum. Ein Fitnesstrainer gibt sich ekstatischem Sex mit einer Internetbekanntschaft hin, während deren Freund aus dem Kleiderschrank zuschaut; anschließend bemerkt er, dass dieser zwergwüchsig ist. Ein Finanzmanager, der um seine verstorbene Frau trauert, lässt sich, einer Hündin folgend, durch New York treiben und gerät dabei an einen kapitalismuskritischen Guru, der die Welt durch Massenvernichtung retten und ihn als Doppelagenten anheuern will. Ein Vater entdeckt, dass seinem zweijährigen Sohn am linken Fuß ein sechster Zeh gewachsen ist; alles scheint ihm fortan möglich, und prompt befindet er sich schon im freien Fall. Ein Mann geht eine Mausefalle kaufen und gerät selbst in eine. Und so fort.
Wenn es ein gemeinsames Muster gibt, dem diese Geschichten folgen, dann ist es die Erzählbewegung, die sie alle unvermittelt, manchmal nahezu unmerklich in einen Abgrund kippen lässt. Bei etlichen geschieht dies ganz zum Schluss, kurz bevor sie brutal abbrechen und alles weitere, was kommen mag, unserer Vorstellungskraft überlassen. Doch gerade die Geschichten, die zum Ende ins Gewohnte und Gewöhnliche zurückzuführen scheinen, wirken umso härter, da sie den Boden dieser Wirklichkeit nur mehr wie dünnes Eis erscheinen lassen.
Hartnäckig versuchen die Figuren, den Einbruchstellen zu entkommen. "Jacob war der Meinung, am besten käme man der Situation durch Zahlen, Fakten, Aufzeichnungen auf den Grund - kurz, durch alles, was sich irgendwie beobachten und festhalten ließ, denn nur auf diese Weise konnten Rätsel gelöst werden." Auch wenn dieser Versuch, das ist schnell klar, misslingen muss, wird darin das Erzählprogramm dieser Geschichten formuliert: durch Fakten nach Gewissheit suchen. Detailgenau, durchaus naturalistisch und oft auf kleinste Einzelheiten fokussierend - das matte Licht des Notrufschalters, silbrig wehendes Gras, Äpfel im Schlafrock mit 3259 Kalorien - entwerfen sie präzise eine Welt, deren Beschaffenheit dennoch ziemlich rätselhaft bleibt. Vielfach scheint es, als ob sämtliche Beobachtungen, die Aufschluss von ihr geben mögen, nur das Gespinst aus Paranoia und Verschwörungsmythen dichter knüpfen, in dem so viele der Figuren sich verfangen.
Bettina Arbarbanell und Clemens J. Setz, die beide für die Übersetzung zeichnen - ob gemeinsam oder alternierend bleibt hier offen -, leisten Großes, diese prekäre Prosa ins Deutsche zu bringen, mit Bravour zwischen Akribie und dem Absurden schwankend: "sein grauer Schädel, mit Haarbälgen gemasert und im Nacken von Fett gewulstet, wirkte wie etwas schauderhaft Bloßgestelltes."
Der Autor Zach Williams, Jahrgang 1978 und in San Francisco lebend, ist ein David Lynch des Erzählens. Sein Debütband, letzten Sommer im Original erschienen und sogleich weithin bejubelt, zieht gekonnt die Register und uns in den Bann des Surrealen. In seinen Erzählverfahren offenbar an Träumen wie auch an Computer Games geschult, bei denen jedes Morphing möglich scheint, entfalten die besten seiner Storys einen derart starken, unheimlichen Sog, dass man sich willig mitreißen lässt. Nur ganz gelegentlich beschleicht einem beim Lesen der Verdacht, dass der Autor, anders als er gern beteuert, doch sehr viel mehr von den Figuren - meistens Männer in der Krise - weiß, als er preiszugeben bereit ist. TOBIAS DÖRING
Zach Williams:
"Es werden schöne Tage kommen". Stories.
Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell und Clemens J. Setz.
dtv, München 2025.
272 S., geb.
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