Mit «Along the Road» lernen wir Aldous Huxley, den Autor der visionären Dystopie «Schöne neue Welt», von einer bisher kaum bekannten Seite kennen: als großen Reiseschriftsteller. Huxley führt uns durch das Europa der Zwanziger, eine Welt im Umbruch, in der eine neue Mobilität auf alte Formen des Reisens prallt. Auch Huxley erliegt dem Reiz der Geschwindigkeit, wenn er mit seinem 10-PS-Citroën in Oberitalien an kunstbeflissenen deutschen Wandervögeln vorbeirauscht. Zugleich folgen wir einem humorvollen Flaneur, der im Zugabteil dritter Klasse den Geschichten der Menschen lauscht, sich mit großer Lust am Unerwarteten am liebsten von völlig veralteten Reiseführern durch Amsterdam, Paris oder Rom leiten lässt und einfach eine grün getönte Brille aufsetzt, wenn es den Weiten Südfrankreichs mal etwas an Frische fehlt. Er sucht nach verborgenen Kulturschätzen, ist auf den Spuren Bruegels oder Botticellis, in Konzerten oder Theatern, beim Pferderennen in Siena und an den Küsten Italiens. Und zwischen Elba, lombardischen Renaissancestädten und der traumschönen Landschaft der Toskana entdeckt er eine verloren geglaubte Welt.
Eine sinnenfrohe Schule des Sehens, eine einzigartige Gebrauchsanweisung für Reisende.
Besprechung vom 12.02.2025
Der hellsichtige Kosmopolit
Endlich auf Deutsch: Aldous Huxleys Reiseberichte "Along the Road"
Das Bild, das in der öffentlichen Wahrnehmung von Aldous Huxley geblieben ist, ist nicht gerade das eines humorvollen Menschen. Wenn man den Schriftsteller heute noch kennt, dann für seine Dystopie "Schöne neue Welt", die immer dann gern zitiert wird, wenn gezeigt werden soll, wie schlimm es um uns steht. Und wie Huxley das in großer Weitsicht schon in den Dreißigerjahren voraussah. Das mag manchen Leuten Lust auf seine Bücher machen, anderen verständlicherweise eher nicht. Letztere sollten deshalb lieber mit einem anderen Buch des Briten anfangen, mit einem, das zwar ebenso hellsichtig, dabei aber leicht und humorvoll ist. "Along the Road - Aufzeichnungen eines Reisenden", eine Sammlung kurzer Essays Huxleys, erschien im Original vor genau hundert Jahren, unerklärlicherweise aber nie auf Deutsch. Das hat der Journalist und Übersetzer Willi Winkler nun zum Glück geändert.
Huxleys Texte stammen aus den Zwischenkriegsjahren. Er ist also in einer Zeit unterwegs, die man häufig mit mondänen Reisen eigensinniger Individualisten verbindet, wahlweise mit Abenteuer oder Luxus. Huxleys Beobachtungen beweisen, dass das - zumindest in Teilen - nicht mehr als ein Mythos ist. Denn schon damals, schreibt er, waren die Menschen nicht nur aus weltgewandter Neugier unterwegs, sondern schlicht, weil man das eben so machte: "Es gehört dazu, an bestimmten Orten auf der weiten Welt gewesen zu sein und war man einmal dort, ist man allen überlegen, die nicht dort waren." Beschreibt Huxley traurige Touristenmassen ("Ich habe schon bei Beerdigungen fröhlichere Gesichter gesehen als auf dem Markusplatz"), muss man heute unweigerlich an die Horden von Instagramern denken, die im Louvre nichts anderes sehen wollen als die Mona Lisa. Den Parisern, so schreibt es schon Huxley, bringt das gutes Geld ein.
Es steht außer Frage, dass Huxley sich nicht zu Touristen dieser Art zählt, sondern zu den echten Reisenden. So sieht sich vermutlich jeder gern, doch verzeiht man ihm diese kleine Eitelkeit wegen seines Scharfsinns, seines Humors und seiner Selbstironie. Huxley scheut sich nicht vor starken Meinungen, und er hat zahlreiche, oft überaus treffende, zu allen möglichen Themen. Er macht sich über junge Leute mit klobigem Schuhwerk lustig, die in der Kirche herumpoltern: "Sie sind Wandervögel, und sie kommen, wie ihr romantischer und völlig unironisch verwendeter Name, dieser wahrhaft Schiller'sche Name, überdeutlich verrät, aus Deutschland." Und teilt auch gegenüber den eigenen Kollegen kräftig aus: "Es liegt kein Verdienst darin, etwas nicht zu wissen, was man wissen könnte. Manche Literaten sind zum Beispiel regelrecht stolz darauf, dass sie keine Ahnung von den Naturwissenschaften haben; diese Leute sind Idioten und außerdem arrogant." Huxley dagegen liest im Urlaub die "Encyclopedia Britannica" und macht sich dabei vor dem Einschlafen mit Angio-Spermien, Aphasie oder der Aurora borealis vertraut (Band zwei enthält die Einträge "And-Aus").
Das Lesen und das Reisen sind für Huxley zwei Laster, von denen er nicht lassen kann, die Zeit fordern und manchmal Unannehmlichkeiten mit sich bringen. Immer packt man mehr Bücher ein, als man schaffen wird, und manchmal verschlägt es einen in ein zugiges, unwirtliches Tal. Das muss der Lesende, muss der Reisende aushalten. Beide Leidenschaften verbindet, dass sie dem unerschöpflichen Bedürfnis entspringen, mehr über die Welt zu erfahren.
Passend dazu geht es in "Along the Road" nicht ausschließlich ums Reisen. Vielmehr bietet das Unterwegssein dem Autor eine Möglichkeit, sich anhand seiner Beobachtungen Gedanken über die Welt zu machen. Wer reist und Neues sieht, egal wie schön, hässlich, kurios oder langweilig das auch sein mag, lernt etwas dazu, denkt nach. Wenn Huxley, der größtenteils über Italien schreibt, in die kleine Stadt Sansepolcro fährt, um dort das seiner Meinung nach beste Bild der Welt, die "Auferstehung" von Piero della Francesca, zu bestaunen, dann nimmt er das Fresco als Anlass, zu überlegen, nach welchen Kriterien wir Kunst bewerten. Könnte es sein, dass die "Auferstehung" allein deshalb weniger berühmt ist als die "Primavera" von Botticelli, weil sie nun einmal leider nicht in Florenz, sondern in der Provinz zu sehen ist?
Manchmal ist die Nähe zu mancher Debatte, die wir heute führen, so groß, dass man staunt: Von der 4-Tage-Woche hat Huxley wohl noch nie gehört, aber er sinniert über Sinn und Zweck des 4-Stunden-Tags: "Was sollen die Menschen mit der Freizeit, die ihnen dank gesellschaftlicher Neuorganisation und perfektionierter Maschinen zufällt, überhaupt anfangen?" Zwar zerstreuen sich die Leute bei ihm noch mit Zeitungen statt mit sozialen Medien, aber auch "billige Kommunikationsmittel und Funktelefone" spielen eine Rolle. Bei der Bewertung älterer Kunst, die unseren heutigen Ansichten nicht mehr entspricht, wünscht er sich Milde: "Hätten wir hundert Jahre früher gelebt, hätten wir es nicht anders gesehen." Und setzt hinzu: "Auch wir werden einmal wie die letzten Idioten dastehen." Nur in dieser Prophezeiung lag Huxley, zumindest was sein Buch betrifft, falsch. ANNA VOLLMER
Aldous Huxley: "Along the Road". Aufzeichnungen eines Reisenden.
Aus dem Englischen und Nachwort von Willi Winkler. Rowohlt Berlin Verlag 2024. 288 S., geb.
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