Frau Hempels Tochter von Alice Berend ist im Jahr 1913 erschienen - und damit 25 Jahre später als Theodor Fontanes Irrungen, Wirrungen, welches ein ähnliches Thema hat. Laura, die titelgebende Tochter der Portiersfrau Lina Hempel, verliebt sich unstandesgemäß in einen verarmten Grafen.
Die Geschichte beginnt mitten in Berlin in der Portierswohnung der kleinen Familie Hempel. Die Mutter wird mehrfach als robust und zupackend, äußerst tatkräftig und vor allem als eine Mutter beschrieben, die für ihre Tochter eine bessere Zukunft erträumt als die ihre. Die Eltern Hempel wirken aber an sich zufrieden mit sich und ihrem Leben. Er arbeitet als Schuster zuhause in der Kellerwohnung, sie ist der gute Geist des ganzen Hauses und den ganzen Tag beschäftigt. Es ist wirklich eindrucksvoll beschrieben, wie viel harte, körperliche Arbeit verrichtet werden musste - und wie oft! Jeden Tag, sommers wie winters, außer Sonntags, wird von früh bis spät gefegt, geschrubbt, gewaschen, geflickt, gebügelt, ausgebessert usw.
Laura arbeitet zunächst als Kindermädchen, dann als Hausmädchen - bis ihre Mutter eines Tages fast ihr ganzes erspartes Geld für ein Grundstück mit Haus, Wiese und Seezugang steckt und die Familie gemeinsam umzieht.
Die Liebesgeschichte Lauras spielt durchaus eine wichtige Rolle in dem Roman. Im Mittelpunkt aber steht ganz klar ihre Mutter, Lina Hempel. Sie ist der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte und ich habe sie von Herzen lieb gewonnen.
Auch, wenn der Roman über 100 Jahre alt ist, er ist so lesbar und hat mich wirklich bezaubert. Ich konnte die Welt der Familie Hempel richtig sehen und riechen und schmecken. Der Text ist voller lustiger und ans Herz gehender Szenen, voller Aphorismen und - das kommt nicht zu kurz - Gefühl. Ich bin wirklich begeistert!
Sehr lesenswert auch das Nachwort mit den Informationen zur Autorin - wie so viele ist sie leider aus dem Gedächtnis verschwunden und umso mehr freue ich mich darüber, dass der Reclam Verlag diese Reihe verlegt - von Autorinnen, die in Vergessenheit geraten sind, vollkommen zu Unrecht.
Absolute Leseempfehlung für einen Roman, der ein Klassiker werden sollte, wie er zum Zeitpunkt seines Erscheinens auch ein Bestseller war.