Das Leben des Albert Schweitzer vom preisgekrönten Biografen und Jugendliteraturpreisträger erzählt
Weltberühmt wurde der Arzt und Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer vor allem durch die Gründung des Hospitals in Lambarene, im heutigen Gabun und durch seine Philosophie und Ethik "Ehrfurcht vor dem Leben", Heute sind unzählige Schulen und Einrichtungen nach ihm benannt. Was brachte den Theologie-Studenten dazu, zusätzlich Medizin zu studieren und ein Leben in Sicherheit und Wohlstand aufzugeben und nach Afrika zu gehen?
Alois Prinz nimmt uns mit in eine noch weitgehend unbekannte Welt. Wir erfahren, wie Albert Schweitzer aufwuchs, was ihn prägte und was ihn antrieb. So entsteht ein umfassendes und differenziertes Bild des berühmten Arztes.
Besprechung vom 24.03.2025
Wenn tiefe Lebenserfahrung zur Unerfahrenheit spricht
Alois Prinz ist mit dichten Biographien für junge Leser bekannt geworden: Jetzt widmet er sich Albert Schweitzer
Alois Prinz, vor anderthalb Jahren mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis für sein umfangreiches Werk mit Büchern über so unterschiedliche Gestalten wie Hannah Arendt und Joseph Goebbels, Dietrich Bonhoeffer oder Ulrike Meinhof ausgezeichnet, macht es sich nicht leicht. "Als Biograf und Erzähler stellt er sich Widersprüchen und hinterfragt plakative Verurteilungen", heißt es in der Jurybegründung zum Sonderpreis 2023.
Zum 150. Geburtstag Albert Schweitzers am 14. Januar hat Prinz eine Biographie des Arztes, Theologen, Philosophen, Organisten und Friedensnobelpreisträgers vorgelegt. Jungen Lesern eine Persönlichkeit nahebringen zu wollen, die schon zu Lebzeiten aus der Zeit gefallen wirkte, ist ein ehrgeiziges Unterfangen. Erst recht, wenn man, wie Alois Prinz gleich zu Beginn des Buchs, schon der Schilderung von Schweitzers Jugendjahren im Elsass, dem porträtierten Menschen eine Haltung zuschreibt, die bei einem rechtschaffenen Biographen auch für das eigene Schreiben gelten muss.
"An der Erkenntnis, dass jeder Mensch ein Geheimnis ist und man sich davor hüten sollte, zu sehr in es einzudringen, hat er ein Leben lang festgehalten", schreibt Alois Prinz, und so hält er es auch selbst: Wo andere ins Fabulieren und Erklären, in weitreichende Einfühlung und Ausdeutung, ins Kolorieren oder Parfümieren geraten könnten, um eine komplexe Gestalt leichter zugänglich zu machen, übt sich der 1958 in Niederbayern geborene Schriftsteller in immer wieder auffälliger Zurückhaltung.
Das macht es erst einmal auch seinen jugendlichen Lesern nicht leicht, zumal bei einer Figur wie Schweitzer, die nicht ohne Weiteres zum heutigen Common Sense vieler junger Leute passt: Im Auftrag christlicher Missionare ist Albert Schweitzer zu Kaisers Zeiten nach Afrika gekommen. Seine ganz persönliche Vorstellung davon, in der Nachfolge Christi zu leben, hat ihn überhaupt Arzt werden lassen. Eines seiner auffälligsten Merkmale war der weiße Tropenhelm, für viele Kennzeichen der Kolonisatoren und somit Symbol der Unterdrückung. Noch in seinen letzten Jahren hatte er sich gegen aus Sicht anderer dringend anstehende Modernisierungen der Einrichtungen gewehrt, die ihn - und die er - berühmt gemacht hatte, etwa der Wasserversorgung und der Toiletten. Selbst dass der für das Jahr 1952 zuerkannte Friedensnobelpreis und die Vielzahl öffentlicher Auftritte, die Albert Schweitzer zur Finanzierung seiner Arbeit in seinem berühmten Krankenhaus in Lambarene im westafrikanischen Gabun unternahm, seine Prominenz und Popularität auch einige Journalisten auf den Plan riefen, die den verehrten "Dschungeldoktor" entzaubern, ja entlarven wollten, übergeht Prinz nicht. Vielmehr widmet er sich den Vorwürfen, aber auch der Sorgfalt der ihnen zugrunde liegenden Recherche, möglichen Motiven und der Resonanz solcher Veröffentlichungen eingehend.
Hier wie an manchen anderen Punkten gelingt dem Biographen auf diese Weise eindrucksvoll, über seinen Gegenstand hinaus Brücken in das Hier und Jetzt seiner jungen Leser zu schlagen: Zu zeitlosen Verfahren der Diskreditierung; zum Preis, persönliche Ziele und Ideale gegen Partnerschaft und Familie abzuwägen; oder, grundsätzlicher noch, zu einer Haltung der Welt und dem Leben gegenüber - der Fundierung des sowohl in Philosophie als auch in Theologie (und später auch noch in Medizin) promovierten Gelehrten Schweitzer, die Alois Prinz so sorgfältig wie nachvollziehbar darlegt. Und nicht zuletzt in einer Ermutigung, die der Autor direkt den Lebenserinnerungen Albert Schweitzers entnimmt, noch bevor er den Blick auf dessen Kindheit lenkt: "Zu gern gefallen sich Erwachsene in dem traurigen Amt, die Jugend darauf vorzubereiten, dass sie einmal das meiste von dem, was ihr Herz und Sinn erhebt, als Illusion ansehen wird. Die tiefere Lebenserfahrung aber redet anders zu der Unerfahrenheit. Sie beschwört die Jugend, die Gedanken, die sie begeistern, durch das ganze Leben hindurch festhalten zu wollen."
Alois Prinz erzählt von einer Kindheit auf dem Dorf im Elsass, in dem es der oft verschlossen wirkende Pfarrerssohn nicht immer leicht hatte, von der Gymnasialzeit in Mühlhausen und dem Studium der Theologie und Philosophie in Straßburg, von seiner Begeisterung für das Orgelspiel, überhaupt die Musik, speziell für Johann Sebastian Bach, dem Schweitzer mit gerade einmal dreißig Jahren eine Monographie gewidmet hat - und von der letztlich aus seinen bisherigen Studien folgenden Entscheidung, seinem Leben eine ganz andere Richtung zu geben und Medizin zu studieren, um dort, wo diese Fähigkeiten am dringendsten gebraucht würden, als Arzt zu wirken.
Dem Glauben Schweitzers widmet sich Alois Prinz ausführlich, in festem Vertrauen auf die Bereitschaft seiner Leser, seinen gründlichen Ausführungen auch hier zu folgen. Ihr Lohn: die Nachvollziehbarkeit einer "Ehrfurcht vor dem Leben", die auch heute noch als menschliche Grundüberzeugung Bestand hat. Dem streng evangelischen Komitee der Pariser Mission, das über Schweitzers Entsendung nach Gabun zu befinden hatte, ging sie freilich viel zu weit.
Die politischen Konfliktlinien, in die der unbeirrbare Arzt zwangsläufig geriet, der von Alois Prinz in Lambarene selbst immer wieder auch als jemand gezeichnet wird, der eher organisatorisch oder schlicht handwerklich arbeitet, machen einen großen Reiz dieser Biographie aus: in den deutsch-französischen Konfliktlinien der Weltkriege, in der Unabhängigkeitsbewegung Westafrikas, im Kalten Krieg bis zum Tod Schweitzers im September 1965. So wird das Buch nicht nur für Konfirmanden zu einem lohnenden Geschenk. FRIDTJOF KÜCHEMANN
Alois Prinz: "Albert Schweitzer". Radikal menschlich.
Gabriel Verlag, Stuttgart 2024. 272 S., geb., 18,- Euro. Ab 14 J.
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