Ein cooles Lesevergnügen - im wahrsten Sinne des Wortes - hat mir Mein Spitzbergen der Autorin und Expeditionsleiterin Birgit Lutz bereitet. Sie hat mich mitgenommen auf eine Reise in ihre zweite Heimat nördlich des Polarkreises, Spitzbergen. Seit 2008 zieht es sie immer wieder dorthin, aber auch vorher schon hat sie ihre Sehnsucht nach der eisigen Schönheit zum Nordpol oder einer Grönland-Durchquerung getrieben.
Doch löst die Faszination Spitzbergens für die Autorin aus?!
Birgit Lutz ist überzeugt: Wer in der Arktis unterwegs ist, verändert sich. Sie schwärmt von der dortigen Reizarmut, der scheinbaren Leere über weite Strecken, was wohl das komplette Kontrastprogramm unseres täglich gewohnten Geräuschpegels darstellt. Überall ist der Mensch präsent und so finden sich nur noch selten Orte, wo die Welt so aussieht, als wäre der Mensch nicht existent. Doch in der Arktis gibt es noch diese scheinbare Unberührtheit der Natur - über weite Strecken trifft man dort keine Menschenseele an.
Spitzbergen beschreibt Lutz als geruchsarm und alle Geräusche, die man wahrnehmen kann, stammen aus der Natur:
das wasserblasende Atmen von Walen, das Knispeln äsender Rentiere, das Prusten von Belugas, das Bellen von Polarfüchsen, das Kreischen unzähliger Vögel, das Pfeifen liebeskranker Robben. Das Flüstern schmelzenden Gletschereises und das Krachen berstender Eisberge, das Rauschen, das auf eine Gletscherkalbung folgt. Manchmal auch das sanfte Sirren von Flügelschlägen oder das grollende Schnauben eines Eisbären. All das sind Geräusche, die anders wirken als Supermarktmusik. Vollkommen still ist es eigentlich nie auf Spitzbergen. Diese Naturgeräusche können sogar lauter sein als ein Lastwagendonnern, aber sie dringen dennoch ganz anders ein, sie schwingen irgendwie mit einem, nicht wie all die technischen Geräusche unserer Welt gegen einen. Und mit Beschreibungen wie dieser fängt sie mich als Leserin vollkommen ein, zieht mich in ihre Welt, ihre Begeisterung überträgt sich auf mich und ich blättere immer weiter - erfahre von dem sagenumwobenen blauen Licht, Rentieren (die so allgegenwärtig sind, das sogar ihre Exkremente im Wasser treiben, das sie während eines Aufenthaltes auf einer abgelegenen Hütte holen muss), euphorischen Schlittenhunden, von Eisbären, vor denen man immer in Habacht-Stellung sein muss, von Walfängern, der Robbenjagd und den lustigen Krabbentauchern.
Als Expeditionsleiterin verzaubert Birgit Lutz Besucher*innen mit der Flora und Fauna Spitzbergens, bringt ihnen aber ebenso ihr eigens initiiertes Forschungsprojekt näher, indem sie mit ihnen zusammen Plastikmüll sammelt. Sie möchte damit Aufmerksamkeit und ein Bewusstsein schaffen für die enormen Einflüsse der Plastikproduktion und zu informieren, wie es den entlegensten Orten unserer Welt bereits heute aussieht. Durch ihre Müll-Datensammlung möchte sie die erschreckenden Ausmaße dieses Problems in den Medien verbreiten und damit dazu beitragen den Plastikeintrag in unsere Meere zu verringern, oder in einem utopischen Idealfall: ganz zu stoppen.
Mein Entdeckungsreisen-Fieber hat die Autorin noch mehr entfacht, indem sie von Andrées Expedition mit einem Gasballon zum Nordpol berichtet (1897), die sogar auch gleichzeitig eine bittersüße Liebesgeschichte enthält, aber auch alte Bekannte Expediteure wie Amundsen begegnen uns hier.
Ich bin mit der Lektüre von Mein Spitzbergen vollkommen abgetaucht, in die Arktis und damit die Welt von Birgit Lutz, ihre zweite Heimat und (nach diesen Zeilen würde ich glatt behaupten) wahre Liebe. Wenn ein Mensch für etwas brennt und sich das mit der Literatur auf die Leser*innen überträgt, kann ich nur voller Bewunderung sein, denn sie schafft es mit Worten einzufangen, was sie für dieses scheinbar perfekte Stückchen Erde fühlt. Sie hat es geschafft, dass ich Spitzbergen fest in meine Reiseliste integriert habe, denn ich möchte es erleben. Danke Birgit Lutz, diese Lesestunden wahren die perfekte literarische Reise in die Arktis, die nur durch eine Erfahrung in natura übertroffen werden kann!