Besprechung vom 23.07.2021
Links ist man höflich, rechts wird gekämpft
Der Direktor des Instituts für Deutsche Sprache leistet sich eine überaus fragwürdige Streitschrift
Die deutsche Sprache wird politisch instrumentalisiert. Und zwar von der Neuen Rechten. Das ist die zentrale These in Henning Lobins "Sprachkampf". Wer angesichts von Gendersternen, umbenannten Mohrenstraßen, sprachlich "gesäuberten" Donald-Duck-Heften und der Anschwärzung des "Schwarzfahrens" den Eindruck hat, es sei doch eher das linke Spektrum, das der Sprache seinen politischen Stempel aufdrückt, den will der Direktor des Instituts für Deutsche Sprache eines Besseren belehren. Die titelgebende Metapher durchzieht die gesamte Darstellung und gibt ihr eine dramatische Note: Bei Lobin finden "Schlachten" statt, in denen "Truppen" aufeinandertreffen, er lädt zu "Frontbesichtigungen" ein und präsentiert "Aufmarschgebiete".
Die Neue Rechte - ein unklar definiertes Spektrum, das bei Lobin von konservativ-demokratischen bis zu rechtsextremistischen Positionen reicht - kämpft in diesem Szenario mehrere sprachpolitische "Schlachten". Zu ihnen zählt der Autor die Forderung, Deutsch ins Grundgesetz aufzunehmen, die Ablehnung des Genderns, die Kritik an der politischen Korrektheit, den Widerstand gegen die Anglisierung des Deutschen sowie den - inzwischen weitgehend erlahmten - Kampf gegen die Rechtschreibreform. Nun kann man über den Sinn oder Unsinn all dieser sprachpolitischen Standpunkte streiten, aber keiner ist für sich genommen "rechts".
Doch damit hält sich Lobin nicht auf. Zwar behauptet er nicht explizit, dass der Purismus, die Genderkritik und die anderen "Kampfziele" intrinsisch rechtslastig seien. Aber ihre Nutzbarkeit für nationalistische Propaganda ist ihm Grund genug, sie unter Generalverdacht und ideologische Quarantäne zu stellen. Was diese Positionen in Lobins Augen vor allem delegitimiert, ist der Umstand, dass die AfD sie für ihre Profilierung verwendet.
Flankiert wird Lobins Strategie der geistigen Generalhaftbarmachung von der Konstruktion einer - vom Autor nicht so genannten - Kontaktschuld, die auf sich lädt, wer in Berührung mit Mitgliedern rechter Organisationen kommt. So identifiziert Lobin den Verein Deutsche Sprache (VDS) mit seiner politisch bunt gemischten Mitgliederschaft als eine "Brücke" zwischen der AfD und dem gemäßigten Bürgertum. Zwar räumt der Autor ein, dass sich der VDS, dem er einen beträchtlichen Teil seines Buches widmet, "wohl nicht" als "eine von der AfD gesteuerte Vorfeldorganisation bezeichnen" lasse. Doch dadurch, dass seine Stellungnahmen von der AfD aufgegriffen wurden, habe er dem Sprachnationalismus der Rechtspopulisten "den Teppich ausgerollt" und es bislang versäumt, sich zu distanzieren.
Folgt man Lobins Logik, müsste jede Äußerung, die eventuell Beifall von der falschen Seite erregen könnte, von vorneherein der Selbstzensur zum Opfer fallen. Seine Mahnung, "es sollten sich alle, die sich öffentlich zur deutschen Sprache äußern, darüber bewusst sein, dass ihre Aussagen immer auch im Kontext einer nationalidentitären Politik gedeutet und eingeordnet werden", lässt vermuten, dass ihm so etwas vorschwebt.
Unter den Verdacht der Rechtsruck-Begünstigung stellt Lobin auch Redakteure dieser Zeitung, weil sie journalistisch mit dem VDS Kontakt hatten, ebenso die Henning-Kaufmann-Stiftung zur Pflege der Reinheit der deutschen Sprache, die schon durch ihren Stiftungszweck des Autors Missfallen erregt. Dass renommierte Sprachwissenschaftler wie Konrad Ehlich oder Peter von Polenz den von ihr verliehenen Deutschen Sprachpreis angenommen haben, muss wohl an ihrer sprachpolitischen Blindheit liegen, denn die Zielsetzung der Stiftung würden sie Lobin zufolge "wohl kaum selbst aktiv unterstützen". Auch die Germanisten Peter Eisenberg und Helmut Glück haben in Lobins Konstruktion rechtsideologischer "Anschlussfähigkeit" ihren Auftritt. Bei den Gastbeiträgen, die sie gelegentlich in der F.A.Z. veröffentlichen, handele es sich um "notdürftig in Expertentum gehüllte Einseitigkeit", von der Lobin seine eigenen medialen Stellungnahmen offenbar frei sieht. Wer keinen Sinn für Verschwörungstheorien hat, wird die langatmigen Schilderungen, wer mit wem in bedenklichem Kontakt stand, ermüdend finden.
Während Lobin mit den vermeintlichen oder wirklichen Rechten unterschiedlichster Schattierung streng ins Gericht geht, gehört seine Sympathie deren sprachpolitischen Kontrahenten. Die Verfechter politischer Korrektheit kämpfen ihm zufolge im Namen von "Respekt und Höflichkeit" einen emanzipatorischen Kampf gegen "kolonialrassistische Wörter und Namen" und für die "Berücksichtigung des Selbstverständnisses gesellschaftlicher Gruppen".
Nun bedeutet eine so verstandene "Höflichkeit" in der Konsequenz, dass jeder, der sich beleidigt fühlt oder das auch nur behauptet, den Sprachgebrauch seiner Mitbürger diktieren kann. Doch diese Bedrohung der Redefreiheit wiegt für Lobin nicht schwer, ebenso wenig die moralische Stigmatisierung von Anderssprechenden, die damit einhergeht. Die milde Kritik, die er an linker Identitätspolitik übt, beschränkt sich auf deren "zuweilen wirklichkeitsfremde Forderungen oder unterkomplexe Deutungen". Wütende Attacken von Gegnern des Genderns und der politischen Korrektheit zitiert Lobin zuhauf als Beispiele für die dort herrschende Sprachverrohung, die Aggressivität von links kritisiert er hingegen nur am Rande anhand von gerade einmal zwei Beispielen.
Auch das Gendern ist für ihn eine Sache von "Respekt und Höflichkeit", denn Frauen würden Umfragen zufolge das generische Maskulinum ablehnen. Als einzige Beispiele abgelehnter Maskulina bringt Lobin "Lieber Wähler" und "Lieber Kunde". Solche Formen der direkten Anrede im Singular entsprechen aber gerade nicht dem typischen Gebrauch des generischen Maskulinums, das meistens der pluralischen Bezeichnung von Gruppen dient, bei denen das Geschlecht keine Rolle spielt. Zur sprachpsychologischen Begründung des Genderns beruft sich Lobin hier wie auch sonst in seinen öffentlichen Diskussionsbeiträgen auf vermeintlich gesicherte Erkenntnisse, denen zufolge das generische Maskulinum Frauen benachteilige, weil es im Kopf der Hörer und Leser Bilder von männlichen Akteuren erzeuge.
Tatsächlich sind die entsprechenden Studien in der Sprachwissenschaft stark umstritten, und das Thema ist keineswegs "in seiner ganzen Breite wissenschaftlich durchdrungen". Während Lobin kritisiert, dass die Möglichkeit eines generischen Femininums vernachlässigt werde, nennt er selbst an anderer Stelle den Grund dafür: Das deutsche Genussystem ist asymmetrisch, denn es gibt ein "unmarkiertes" Maskulinum für beide Geschlechter und ein "markiertes" Femininum nur für Frauen. Den Zusammenhang zwischen beiden Sachverhalten bekommt der Leser jedoch nicht mitgeteilt. Dafür erfährt er, dass ein Aufruf des VDS gegen das Gendern "überdurchschnittlich oft von eher älteren Personen unterzeichnet wurde", als würde ihn das disqualifizieren.
Die Kritik, gegenderte Behördenschreiben würden die lesenden Bürger bevormunden, weist Lobin mit dem Argument zurück, jede Lektüre sei schließlich eine Bevormundung, weil man sich ja auf Sprache und Gedanken des Autors einlassen müsse. Dieser Versuch, die Übergriffigkeit der administrativen Sprachsteuerungen hinwegzuphilosophieren, verfängt nicht, denn im Gegensatz zu Zeitungsartikeln oder Romanen ist die Lektüre amtlicher Schreiben selten freiwillig. Ihre Absender sind staatliche Akteure, die sich anmaßen, den Bürgern mit selbstherrlichen Eingriffen in das Sprachsystem moralpolitische Lektionen zu erteilen. Das darf man durchaus als Bevormundung empfinden.
Rechte und linke Sprachideologen bilden für Lobin keine gleich starken Lager. Die linke Identitätspolitik sieht er in der schwächeren Position, denn sie habe wegen ihrer internationalistischen Orientierung viel weniger Durchschlagskraft als das nationalidentitäre Lager, das propagandistisch an "Kultur, Volk und Heimat" anknüpfen könne. Die aktuelle Wirklichkeit bietet indes ein anderes Bild: An den Hochschulen, in vielen Verwaltungen, einem Teil der Medien und nicht zuletzt im Duden, der in weiten Kreisen immer noch autoritative Geltung hat, dominiert eine links-grün inspirierte Sprachpolitik. Die Folge ist eine Ausbreitung von Genderformen und politisch-korrekten Sprachprägungen in Behördenschreiben, Rundfunksendungen, Büchern und Medientexten. Auch von einem Rückgang der Anglizismen ist bislang nichts zu spüren.
Mit der von Lobin beschworenen nationalistischen Instrumentalisierung der Sprache ist es also in der Praxis nicht weit her. Auch allgemeinpolitisch hat sich der rechte Sprachkampf bislang offenbar nicht als das populistische Zugpferd erwiesen, als das Lobin ihn darstellt. Die AfD ist im Parteienspektrum isoliert. Ganz im Gegensatz zur strukturellen Mehrheit aus Grünen, der SPD und der Linkspartei, die das politische Milieu des gender- und identitätspolitischen Sprachaktivismus bilden, auch wenn nicht alle ihre Mitglieder und Wähler damit übereinstimmen.
Im Nachwort versichert Lobin, dass das Buch ausschließlich in seiner Freizeit und somit nicht auf Kosten des Steuerzahlers entstanden sei. Dass er sein Werk als Privatmann geschrieben hat, wird man ihm glauben. Veröffentlicht wurde es aber mit dem deutlichen Hinweis auf seine Position als Direktor des Instituts für Deutsche Sprache. Sie dürfte seinem Buch in den Augen vieler Leser wissenschaftliche Autorität verleihen. Doch eine unvoreingenommene, wissenschaftlich fundierte Analyse des "Sprachkampfs" hat Henning Lobin nicht geliefert, stattdessen hat er ihm eine weitere Streitschrift hinzugefügt.
WOLFGANG KRISCHKE.
Henning Lobin: "Sprachkampf". Wie die Neue Rechte die deutsche Sprache instrumentalisiert.
Dudenverlag, Berlin 2021. 186 S., geb.
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