Die Wiederentdeckung nach 70 Jahren, erstmals auf Deutsch: »Ein literarischer Diamant, scharfkantig und kristallklar«, schreibt die »Times« über József Debreczenis Erinnerungen an Auschwitz. Sein bewegender Bericht aus den Vernichtungslagern gilt als eines der größten Werke der Holocaust-Literatur. In ihrem Nachwort setzt sich Carolin Emcke mit diesem bewegenden Memoir eines Überlebenden auseinander und reflektiert darüber, was es für uns heute bedeutet, dieses Buch zu lesen.
Der renommierte ungarische Journalist und Dichter József Debreczeni wurde 1944 als Jude nach Auschwitz deportiert, es folgten zwölf albtraumhafte Monate in verschiedenen Konzentrationslagern. Seine letzte Station war das »Kalte Krematorium«, die Krankenbaracke des Zwangsarbeitslagers Dörnhau.
Kurz nach der Befreiung schrieb József Debreczeni seinen Bericht: eine gnadenlose Anklage von höchster literarischer Qualität. Mit präzisen Beschreibungen, dem Mittel der Ironie und mitunter einem beißenden Humor bringt er uns die Menschen nahe, denen er in der Haft begegnet ist und deren Erfahrungen in den Lagern mit dem Verstand kaum zu begreifen sind. Erstmals 1950 auf Ungarisch veröffentlicht, geriet es in Vergessenheit - mehr als 70 Jahre später wurde es in 15 Sprachen übersetzt.
»Eine eindringliche Chronik von seltener, beunruhigender Kraft. « The Times
»Ein enorm kraftvoller und zutiefst humaner Augenzeugenbericht über den Horror der Lager. Mit lebhaften Beschreibungen vermittelt Debreczeni dem Leser die spezifische, konkrete und mörderische Realität des Holocaust. « Karl Ove Knausgaard
»Ein außergewöhnliches Memoir . . . ein unvergessliches Zeugnis. « Kirkus Review
Besprechung vom 24.01.2025
Die Stufen der Entmenschlichung
József Debreczenis Bericht über seinen Weg durch NS-Konzentrationslager liegt nach 75 Jahren zum ersten Mal auf Deutsch vor.
Die lauten Stimmen: Sie geben eine Ahnung, dass der Zielort näher kommt. "Aussteigen! Zur Seite! Los, los!", rufen die deutschen Feldjäger, und noch einmal lassen die "grasgrünen Henkersknechte" die Menschen in den überfüllten Güterwagons ihre Notdurft verrichten. Sie sind irgendwo in einem Wäldchen, in Ungarn, in der Slowakei, in Polen. József Debreczeni weiß es nicht, ein Bahndamm, irgendwo in Osteuropa, wo blühende Bäume stehen - und sich, wie er festhält, "eine erstaunliche Metamorphose" vollzieht: Hier, an dieser Stelle, wo sich junge Frauen und Männer, Alte und Junge kurz niederlassen, wehrlos, bewacht und beobachtet von Soldaten mit "den frisch rasierten Gesicherten", werden "die Menschen der plombierten Höllenzüge zu Tieren", hier war der Moment, "in dem uns zum ersten Mal unsere aufrechte Haltung genommen wurde".
Der 1905 in Budapest als József Brunner geborene jüdische Journalist und Schriftsteller József Debreczeni überlebte den Terror nationalsozialistischer Lagergewalt nur knapp. Erst hatte er wie so viele Jüdinnen und Juden Zwangsarbeit in einem Arbeitsbataillon leisten müssen, dann war er Ende April 1944 zunächst nach Auschwitz, später dann in verschiedene Außenlager des Konzentrationslagers Groß-Rosen deportiert worden - ein zwölfmonatiger Albtraum, voller Erniedrigung, Hunger, Kälte und Krankheit. Debreczenis Erfahrungsbericht ist ein außergewöhnliches, ein aufwühlendes Zeitdokument, das bereits unmittelbar nach Kriegsende entstand und 1950 erstmals auf Ungarisch und kurze Zeit später auch auf Serbokroatisch veröffentlicht wurde, aber nie seinen Weg ins Deutsche oder Englische fand. Weite Teile seines Lebens verbrachte Debreczeni in der Vojvodina, einer multiethnischen Region in Serbien.
Debreczeni blickt als Überlebender zurück und schildert mit schonungsloser Härte den Überlebenskampf der Häftlinge, die Hierarchien der Lagergesellschaft, die körperlichen Qualen des radikalen Ausnahmezustandes, den die deutschen Wachmannschaften schufen und auskosteten. Ausbeutung, Auszehrung und Gewalt sind allgegenwärtig. Eines Tages, so berichtet er, besuchte der Chef des Lagers Groß-Rosen, ein SS-Hauptsturmführer mit nur mehr einem Arm, ihr Arbeitslager. Er durchschritt die Reihen, wählte einen besonders tüchtigen Häftling aus, stellte sich neben ihn, griff "träge" in die Tasche mit dem Revolver - und erschoss ihn. Eine "kleine Demonstration" sei dies gewesen, so der SS-Mann, "um zu veranschaulichen, dass selbst der beste Jude krepieren" müsse. "Was für ein Kitsch", notierte Debreczeni. "Das Grauen ist immer kitschig. Selbst, wenn es Wirklichkeit ist."
Sein Bericht schildert die Stufen der Entmenschlichung: sammeln, zählen, selektieren. Das Wissen über den Massenmord ist ständiger Begleiter, "eine Wirklichkeit, die ich unmittelbar vor mir sehe", wie Debreczeni nach seiner Ankunft in Auschwitz notiert. "In einer Entfernung von weniger als zweihundert Metern. Ich rieche den Raum. Es ist zweifellos wahr und doch unfassbar. Es ist ein strahlender Tag Anfang Mai, um mich herum bewegen sich die Menschen, der Himmel über mir ist von einem leuchtenden Blau. Und doch ist dieser elende, zweihundert Meter von mir aufsteigende Rauch die Wirklichkeit." Die Gerüche des Todes - sie verschwinden nicht mehr. Breiten Raum nimmt in seiner Darstellung das Innenleben der Häftlingsbaracken ein, der Kampf um einen Schlafplatz, der Verlust jeder Intimität, das tägliche, ja stündliche Sterben. 33031 - diese Nummer begleitet ihn auf seinem Weg, den er nur mit viel Glück und am Ende im fiebrigen Wachtraum überlebte, als die Rote Armee schließlich die Lager befreite und sein Leben rettete. Die letzte Melodie, mit der das Buch endet, ist die der Internationale.
Das "Kalte Krematorium", das dem Buch seinen Titel gibt, ist nicht Auschwitz. Häftlinge nannten so die Krankenbaracke des Zwangsarbeitslagers Dörnhau, das zum Außenlagersystem des Konzentrationslagers Groß-Rosen gehörte und in das Debreczeni verfrachtet worden war. "Es ist noch keine Stunde vergangen und schon kann ich mich nicht mehr darüber freuen, nicht nach Birkenau gebracht worden zu sein. Später, inmitten der Qualen des kalten Krematoriums, suchte mich das Gespenst der ersten Augenblicke in Dörnhau oft heim, immer wieder erschien mir das erste Bild, ein Anblick, an den ich mich erst nach langer Zeit gewöhnen konnte. Als ich selbst ein Teil davon wurde, eines der schreienden, nackten Skelette. Kaltes Krematorium."
In der deutschen (und ähnlich auch in der englischen) Übersetzung trägt das Buch den Untertitel "Bericht aus dem Land namens Auschwitz", in der ersten Ausgabe 1950 war im Untertitel von einem "Roman" über Auschwitz die Rede. Tatsächlich arbeitet Debreczeni als Ich-Erzähler mit unterschiedlichen erzählerischen Strategien, es gibt Rückblenden und eine eigene Geschwindigkeit, die erkennen lassen, dass hier ein sprachmächtiger und feinfühliger Beobachter schreibt, dem in späteren Jahren in Jugoslawien höchste Ehren für sein literarisches Werk zuteilwerden sollten. Sein Bericht ist aber alles andere als "Fiktion". Er ist von schonungsloser Klarheit, gerade auch gegenüber der deutschen Gewaltherrschaft. "Das haben sie im Blut", hält Debreczeni mit Blick auf Auschwitz und die Administration der Vernichtung fest.
Von der ersten Veröffentlichung bis zur jüngsten Übersetzung war es ein weiter Weg, der auch auf die unterschiedlichen Formen und Phasen der Erinnerung an den Holocaust in den sozialistischen Ländern nach 1945 verweist. Denn dass es sich um ein jüdisches Überlebenszeugnis handelte, ließ sich auf dem Titelbild der ersten Ausgabe nicht erkennen. Es zeigte die Schwarz-Weiß-Fotografie einer jungen, märtyrerhaft blickenden Frau hinter einem Stacheldraht, die eher an die heldenhaften Partisanen erinnerte als an jüdische Holocaustopfer.
Das Buch fügte sich also in seiner äußeren Bildsprache in die dominierende staatssozialistische Lesart der "Opfer des Faschismus" ein. Und erzählte doch zugleich eine Überlebendengeschichte, die sich diesem Deutungsmuster nicht unterwarf und deren Bedeutung lange unterschätzt worden ist. Als das Buch dann 1975 noch einmal veröffentlicht wurde, hatte sich auch das Titelbild verändert. Auf ihm - wie auch im Buch - waren nun einige Lithographien des bekannten jugoslawischen Künstlers und jüdischen Holocaustüberlebenden Nandor Glid zu sehen, der auch das Internationale Mahnmal für die KZ-Gedenkstätte in Dachau entworfen hatte. Es ist ein großes Glück, dass dieses eindringliche Werk nun endlich auch auf Deutsch erschienen ist; in der Sprache derer, deren Stimmen bereits in der ungarischen Originalfassung so präsent waren. Und vor allem nach Tod und Vernichtung klangen. DIETMAR SÜSS
József Debreczeni: "Kaltes Krematorium". Bericht aus dem Land namens Auschwitz.
Aus dem Ungarischen von Timea Tankó. Nachwort
von Carolin Emcke. S. Fischer Verlag,
Frankfurt am Main 2024.
272 S., Abb., geb.
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