Mit diesem Roman erklimmt Martin Mosebach neue Höhen - ein großes Buch, bildstark, voller Überraschungen und hinreißend erzählt.
Zwei Frauen, ein Maler und eine Warnung: »Werden Sie nicht sein Modell! «
'Die Richtige' ist etwas Besonderes im Werk von Martin Mosebach, steht für sich - als Spiegel, als Brennglas, als Kostbarkeit. Ein virtuos und mit großer Menschenkenntnis erzählter Roman über die Abgründe in menschlichen Beziehungen, über Kunst und Leben, Liebe und Macht.
Ein verblühtes Azaleenbäumchen, fast schon im Müll, und dann, ganz unerwartet, eine rosa Wolke, neues Grün - »so müsste man arbeiten, wie diese Pflanze! « Sagt Louis Creutz, ein Maler, der über Grenzen hinweggeht, weil er keine sieht. Von den Menschen, die mit ihm in Berührung kommen, profitiert er, solange sie ihm nützlich sind, und dann lässt er sie fallen. Meist sind es Frauen, seine Modelle. Eine von ihnen ist inzwischen obdachlos, eine Streunerin mit goldgefärbten Locken, schwarzem Seidenumhang und einem unheimlichen Maskengesicht. Eine andere, noch junge, lebensfrohe, die barfuß in Sandalen der Kälte trotzt, schlägt jede Warnung in den Wind.
Mit diesem Roman erklimmt Martin Mosebach neue Höhen - ein großes Buch, bildstark, voller Überraschungen und hinreißend erzählt.
Besprechung vom 15.03.2025
Vom moralischen Bankrott des Malers Louis Creutz
Gerichtstag im Werk als literarischer Festakt: Martin Mosebachs neuer Roman "Die Richtige"
"Die Richtige" ist der falsche Titel, aber das kalkuliert ein Schriftsteller wie Martin Mosebach natürlich ein, und das macht die Benennung dann doch wieder richtig. Sprechen wir also lieber davon, dass "Die Richtige" uns auf eine falsche Fährte lockt. Falsch deshalb, weil der Titel suggeriert, Astrid Thorblén, die weibliche Hauptfigur des neuen Mosebach-Romans, wäre genau das, was der Maler Louis Creutz, ihr männliches Pendant, gesucht hat, als er sie zu seinem Modell macht. Tatsächlich aber kann es ihm kein Modell recht machen, wie Creutz persönlich Thorblén nach deren erstem Atelierbesuch mitteilt: "Für mich als Maler und auch für die Betrachter meiner Bilder zählt allein das Bild und nicht das Modell. Meine Täuschungen beim Studium des Modells sind der Maßstab. Ich will mein Modell so malen, daß die Begegnung mit dem realen Modell eine gewisse Enttäuschung auslöst." Dass auch für das Modell die Begegnung mit dem Maler eine Enttäuschung bereithalten könnte, kommt dem selbstbewussten Creutz nicht in den Sinn. Die ohnehin fragile Thorblén wird an ihr zerbrechen.
Auf den ersten Blick ist alles beim Alten im neuen Mosebach: eine männliche Kraftnatur, die in viriler Selbstüberschätzung (der vorletzte Roman hieß nach seiner Hauptfigur "Krass") ebenso aus der Zeit gefallen zu sein scheint wie die ätherischen jungen Frauen, die diese Männer umschwirren. Doch diesmal wird es existenziell - niemals zuvor ging Mosebach derart gnadenlos mit seinem Personal ins Gericht. Besonders der bildende Künstler Creutz erweist sich als blind für seine Mitmenschen, doch damit ist er nicht allein. Das Abschlusskapitel trägt als einziges unter den insgesamt 33 des Romans eine Überschrift: "Ein Sextett der Mißverständnisse". Das wäre ein probater Titel für "Die Richtige" gewesen. Und vermutlich erschien er gerade deswegen dem an Oberflächenphänomenen wenig interessierten Mosebach als falsch.
Man hat ihm seine betonten Mann-Frau-Dichotomien oft vorgeworfen, doch das hat den 1951 geborenen Schriftsteller nie vom Kurs abgebracht, zumal seine genderempfindlichen Kritiker die geradezu übersensiblen Männerfiguren ausblenden, die schon 1982 im wundersamen Debütroman "Das Bett" in Stephan Korn eine Ausprägung fanden und seitdem für das belletristische Schaffen dieses Autors genauso charakteristisch geworden sind wie dominante Matronen, deren erste sich auch schon in "Das Bett" fand (die Mutter des Sensiblen). In "Die Richtige" treten nun die wohlhabende Beate, die gemeinsam mit ihrem Mann Rudolf zu den treuesten Sammlern der Bilder von Louis Creutz gehört, und der Kunsthistoriker Rucktäschel als kommender Biograph des Malers in diesen Rollen auf, aber sie stehen gegenüber dem Protagonistenpaar in zweiter Reihe - nicht weil Mosebach hier die von Creutz und Thorblén repräsentierten Klischeevorstellungen exponieren und damit bestätigen wollte, sondern weil er sie diesmal genussreich zerstört.
"Die Richtige" ist der Nachfolgeroman zum Ende 2022 erschienenen "Taube und Wildente". Auch inhaltlich, denn dort ging es um ein Gemälde, das einem Brand zum Opfer fällt, und auf dieses buchstäbliche Kunststück von Buch folgen nun zwei Künstlerschicksale. Deren eines sich anfangs als gerader Erfolgsweg darbietet: Louis Creutz, geboren 1972, genießt Weltruhm, und wie bei Ralph Krass wird seine singuläre gesellschaftliche Stellung vor italienischer Kulisse inszeniert. Diesmal in Venedig, wo Creutz auf die anderthalb Jahrzehnte jüngere Thorblén aufmerksam wird, eine begabte Sängerin, die jedoch nichts aus ihrem Talent gemacht hat. Das spätere Modellstehen wird für die Verlustempfindung kompensieren: "Das Erleben des eigenen Körpers, das Sichzeigen, das Betrachtetwerden, wohl auch das Bewundertwerden - das war ihr jetzt ein Bedürfnis, genauso schön wie das Singen." Am Ende wird es mehr Erlebnis des eigenen Körpers gegeben haben, als ein Mensch verträgt.
Das Credo des Malers wird vor der morbiden Schönheit des dem Untergang geweihten Venedigs ausbuchstabiert: "Er wollte seine Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen demonstrieren, auch wenn sie zerstörten, was sein Leben ausmachte, als wäre er mit seiner Lebensarbeit nicht ein, wenn auch kleiner, Bestandteil der bedrohten Kultur; noch in einem Rettungsboot werde er nach nichts anderem trachten, als seine Malerei bald irgendwo fortzusetzen." Für Creutz gibt es nichts als die Kunst. Seine Kunst.
Derart durchs Faszinosum fürs Ästhetische lebensfremd erscheinende Figuren laden zu einer Gleichsetzung mit ihrem Schöpfer geradezu ein: Mosebach kann gewiss nicht nur als einer der kunstfertigsten deutschen Autoren bezeichnet werden, sondern auch als einer der kunstgläubigsten. In seinen Auseinandersetzungen mit Kunstschönheit (vor antiker Folie etwa in "Die Türkin", vor exotischer in "Das Beben", vor barocker in "Das Bett", darüber hinaus in zahlreichen essayistischen Einlassungen zur Malerei) steckt immer besonders viel von ihm selbst. Die in "Die Richtige" erfolgende moralische Dekonstruktion von Creutz ist deshalb bemerkenswert. Dieses Buch ist nicht nur geeignet, die Mosebach-Liebhaber reizvoll zu verstören, sondern auch bisherige Verächter für diesen Autor zu gewinnen. Hier schreibt jemand an einem Werk fort, das plötzlich weit weniger in geregelten Bahnen verläuft als das bildnerische des Louis Creutz, und für die menschenmanipulierende Künstlerfigur des neuen Romans ist kein Hauch von Sympathie zu spüren. Mosebach betrachtet seinen Protagonisten mit dem Blick eines Entomologen, dem gegenüber dem Studium des Objekts seiner Neugier an dessen Überleben nichts liegt.
Und so tritt der als Malerfürst wie aus einer anderen Epoche auf uns gekommene Louis Creutz (die Initialen und manches Handwerkliche verweisen auf Lovis Corinth) bereits im Moment des Romanbeginns als ein vom kühlen Wind umspielter Mann vor uns, dessen Scheu vor Wärme schon die Lieblosigkeit sichtbar werden lässt, die im Laufe der Handlung den realen Tod eines anderen provozieren wird - und den moralischen seiner selbst. Das Einzige, was Martin Mosebach als Verfasser und Louis Creutz als Hauptakteur des Romans "Die Richtige" miteinander verbindet, ist die jeweils von ihnen bei ihrer Kunst praktizierte Verhaltenslehre der Kälte. Bei Creutz schaudert uns dabei vor Abscheu, bei Mosebach vor Wonne. ANDREAS PLATTHAUS
Martin Mosebach: "Die Richtige". Roman.
Dtv, München 2025. 348 S., geb.
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