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Besprechung vom 15.03.2025
Kein Mangel an Mängeln
Technik ist, was mehr Technik braucht: Martina Heßler folgt der Geschichte des Abgleichs menschlicher Fähigkeiten mit den Leistungen von Maschinen.
Die Erzählung vom fehlerhaften Menschen, mithin vom Menschen als Mängelwesen, ist alt, doch sie hält sich hartnäckig. Seit Beginn des neunzehnten Jahrhunderts soll Technik den Menschen vor seinen Mängeln, Sünden und Irrtümern bewahren. Das Versprechen dahinter war kein geringeres als das auf eine perfekte Welt, in der, unbehelligt vom menschlichen Makel, Wohlstand, Ordnung und Gerechtigkeit herrschen sollten.
Martina Heßler hat der Geschichte des fehlerhaften Menschen ein Buch gewidmet, genauer: der Geschichte des im Vergleich zur Maschine fehlerhaften Menschen und seiner Entsprechung, der fehlbaren Technik. In "Sisyphos im Maschinenraum" fragt die Professorin für Technikgeschichte an der Technischen Universität Darmstadt weniger nach den materiellen Bedingungen und Effekten der technologischen Entwicklung als nach den Weisen, wie über sie gesprochen wird. Anhand vieler Quellen erzählt Heßler die wechselhafte Geschichte des Verhältnisses von menschlichen und maschinellen Fehlern in der Wahrnehmung von Zeitgenossen, von Ingenieuren, Experten, Wissenschaftlern und Unternehmen.
Dabei entfaltet sie die Geschichte eines anhaltenden Technikchauvinismus, der den Menschen als eine potentielle Fehlerquelle behandelt. Die Versuche, menschliche Mängel mittels Maschinen auszumerzen, führen zu Paradoxien, die eine endlose Steigerungsdynamik antreiben - denn die Technisierung von Abläufen produziert stets neue menschliche Fehler, die wiederum mittels Technik eingehegt werden müssen. Man denke nur an Autos, die Freiheit und Mobilität versprechen, deren Geschwindigkeit menschliche Sinne und Reaktionsfähigkeit jedoch überfordert, weshalb allerlei Assistenzsysteme vom Bremskraftverstärker bis zum Antiblockiersystem verbaut werden müssen, um diese Defizite auszugleichen. Am Ende dieser Technisierungsdynamik steht das autonome Fahren, in dem der Risikofaktor Mensch gänzlich ausgeschaltet ist.
Diese Steigerung ist jedoch keine Entwicklung hin zu einer besseren Welt. Durchaus elegant verbindet die Autorin ihre Argumentation immer wieder mit Positionen des Technikkritikers Günther Anders, der ihr als Gewährsmann und Quelle dient. Anders sprach angesichts der Atombombe vom "prometheischen Gefälle", dem Zurückbleiben der Menschen hinter ihren Produkten, denen sie schlicht nicht mehr gewachsen sind.
Doch Heßler ruft noch eine weitere mythologische Figur auf: Der prometheische Mensch wird für sie in der modernen Welt zum Sisyphos, der den Stein immer wieder den Berg hinaufrollt, zur endlosen Wiederholung verdammt. Dieser moderne Sisyphos ist allerdings nicht mehr allein auf die Kraft seines Körpers angewiesen, er hat Technologien entwickelt, die ihm die Arbeit erleichtern. Und dennoch kann er sie nicht vollenden: Stets gibt es Probleme, die Technik überfordert ihn oder streikt gleich ganz, weshalb er gezwungen ist, permanent neue Technik zu entwickeln, die den Mangel ausgleicht. Seine Arbeit, die immer nur komplexer wird und nie ein Ende findet, verrichtet er in einer technologisch gestalteten Welt, dem Maschinenraum.
Wie gestaltet sie sich nun, die Geschichte des fehlerhaften Menschen und der technischen Einhegungsversuche? Historisch war das Verständnis vom Menschen als Mängelwesen vor allem aus dem Vergleich mit dem Tier entstanden, das über mannigfaltige Fähigkeiten verfügte, die dem Menschen nicht zu eigen waren. Erst im neunzehnten Jahrhundert wurde die Maschine zur Vergleichsreferenz, deren Genauigkeit und Zuverlässigkeit, also Fehlerfreiheit, dem Menschen haushoch überlegen schien. "Irritierend und obsessiv" nennt Heßler die Abwertung von Menschen und ihren Körpern, die damit einherging.
Eine interessante Wendung nimmt die etwas monotone Geschichte Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts. Im Zweiten Weltkrieg wurde unter anderem durch massenhaft falsch abgeworfene Bomben deutlich, dass die Technik den Menschen überfordern konnte. Die Human-Factor-Forschung argumentierte, dass Mensch und Maschine zusammenarbeiten müssten, wofür die Maschinen auf die begrenzten Möglichkeiten der Menschen einzustellen seien. Ab den Siebzigerjahren rückten dann fehlerhafte Maschinen in den Fokus. Die mechanische, regelhaft funktionierende Maschine in den Fabriken wurde zunehmend durch komplexere Versionen abgelöst. Deren Fehleranfälligkeit war aber so groß, dass menschliche Fähigkeiten neue Relevanz erlangten. Doch das war nur von kurzer Dauer. Bald waren die Maschinen - etwa in Form von Software - so komplex, dass Menschen sie nicht mehr überblicken, ihre Fehler rasch erkennen und beheben konnten. Bei der Arbeit mit Maschinen, die durch Künstliche Intelligenz zum Lernen befähigt sind, verschmelzen menschliche und maschinelle Fehler schließlich miteinander, etwa indem die statistische Arbeitsweise von Large Language Models menschliche Fehler und Vorurteile reproduziert.
Insofern ist Heßlers Buch auch als eine Absage an naiven Technikglauben zu lesen. Weder ein qua Technik von Fehlern befreiter Mensch noch eine von menschlichen und maschinellen Fehlern befreite, durchtechnisierte und leistungsoptimierte Welt ist erreichbar. Insbesondere technische Lösungen, die in der alten Logik der Komplexitätsbeherrschung durch Komplexitätssteigerung verhaftet bleiben, sind nicht nachhaltig. Herausgekommen ist eine lesenswerte Geistesgeschichte, die ein wenig an dem Umstand krankt, dass ihr Material nur wenige Überraschungen bereithält. Die technikchauvinistische Vorstellung, dass der Mensch im Vergleich zur Maschine defizitär ist und die Welt nur mittels technologischer Hochrüstung verbessert werden kann, ist eben allgegenwärtig. Und sie gewinnt, wie aktuell in den USA zu sehen ist, auch politisch an Einfluss. HANNAH SCHMIDT-OTT
Martina Heßler: "Sisyphos im Maschinenraum". Eine Geschichte der Fehlbarkeit von Mensch und Technologie.
C. H. Beck Verlag, München 2025.
297 S., geb.
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