Besprechung vom 21.01.2024
Kein Fan wie jeder andere
Helmut Sonneberg, genannt "Sonny", lebte für die Eintracht und schwieg lang über das, was ihm die Nationalsozialisten angetan hatten. Im vergangenen Jahr ist er im Alter von 91 Jahren gestorben. Seine Geschichte lebt weiter.
Von Marc Heinrich
Im Museum der Eintracht wird seit Jahren bemerkenswerte, vielfach preisgekrönte Arbeit geleistet. Matthias Thoma, der Geschäftsführer, hat dank vieler kluger Ideen und einem engagierten Kreis an Mitstreitern einen Ort im Erdgeschoss des Stadions geschaffen, an dem Erinnerung lebendig wird. Thomas neuestes Werk, das einen besonderen Platz inmitten der mannigfachen Ausstellungsstücke verdient hat, fügt sich ein in die Reihe beispielhafter Beiträge zum besseren Verständnis und treffender Einordnung Frankfurter (Fußball-)Historie. Es wird in den Bestseller-Listen der Buchhandlungen sicherlich nicht ganz weit oben landen, doch es ist guten Gewissens allen ans Herz zu legen, die ein Faible für diesen Verein haben und an den Menschen interessiert sind, die ihn seit Generationen ausmachen: weil es tief bewegt. Thoma hat sich der Biographie von Helmut "Sonny" Sonneberg angenommen und sein von tragischen, ergreifenden und rührenden Erlebnissen geprägtes Leben auf 208 Seiten nacherzählt. Die Vita ist ein Stück Frankfurter Geschichte - in dem die Eintracht bis zuletzt eine Hauptrolle spielte: Sonneberg trug den Verein im Herzen wie viele, aber er war kein Fan wie jeder andere.
Geboren wurde Helmut Sonneberg am 9. Juni 1931 im Krankenhaus in Sachsenhausen. Von klein auf rufen die Leute ihn, der schmächtiger war als viele Altersgenossen, Sonny. In Kindertagen waren die Gassen der Altstadt sein Spielplatz. Die kindliche Unbeschwertheit endete nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Seine Mutter Recha entstammte aus einem jüdischen Elternhaus; Sonneberg ging aus ihrer kurzen Liaison mit einem jüdischen Monteur hervor. Dass sie später einen gläubigen Katholiken heiratete, der Helmut liebevoll großzog und ihn unter anderem als Messdiener in den Kaiserdom mitnahm, schützte beide nicht vor dem Rassenwahn der neuen Herrscher. Laut dem "Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" galten Helmut Sonneberg und seine Mutter trotz Taufe als Juden. Schwester Lilo war in der Sprache der Nationalsozialisten "Halbjüdin", und die Eltern lebten in einer "Mischehe". Nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 nahm die Verfolgung beständig zu, Hitlerjungen bespuckten Sonneberg auf der Straße, er wurde verprügelt und erhielt nach Kriegsausbruch nur geringere Lebensmittelzuteilungen. 1940 wurde er seinen Eltern weggenommen und in die "Israelitische Waisenanstalt" im Röderbergweg gesteckt. Früh, so berichtete er Thoma in den Gesprächen der beiden, die eine Grundlage der Publikation sind, habe er sich wie ein Mensch zweiter Klasse gefühlt. Am 14. Februar 1945 wurde er vom Ostbahnhof in einem Viehwaggon nach Theresienstadt deportiert, wo er in der Schreinerei schuften und "die Kisten für die Leichen" fertigen musste. In Erinnerung blieben ihm: "Hundegebell, Geschrei, Trillerpfeifen." Als Truppen der Roten Armee am 8. Mai 1945 das Konzentrationslager befreiten, wog der fast 14 Jahre alte Sonneberg nur noch 27 Kilogramm und war mehr Skelett als Mensch.
Die "Zweite Halbzeit" des Buches, so hat es Thoma eingeteilt, handelt von Sonnebergs Rückkehr ins zerstörte Frankfurt, dem wohltuenden Gefühl der wiedergewonnenen Freiheit und dem Bemühen, die grauenvolle Vergangenheit hinter sich zu lassen. Dazu gehört: Er spricht über das Erlebte nicht. Nie. Selbst im privaten Kreis nicht. Zu lesen ist, dass Sonnebergs Begeisterung für den Sport groß war, vor allem von der Eintracht fühlte er sich angezogen, nachdem die Alliierten Vereine wieder zugelassen hatten. "Die Eintracht war im Volksmund auch nach dem Krieg der Judenverein. Und da habe ich mich wohlgefühlt." Für den Monatsbeitrag von 50 Pfennig wurde er 1946 Mitglied. Seine Wochenenden gehörten den Hobbys: Er stand selbst auf dem Platz, dann ging es nach Schwanheim Handball schauen, zum Boxen in die Comeniusschule oder zum Hockey an die Forsthausstraße - aber am liebsten sah er der ersten Mannschaft der Eintracht zu.
Der "Fanatiker", so nannte man die enthusiastischen Fußballanhänger in den 1950er-Jahren, wurde in Frankfurt immer bekannter. Und Sonneberg genoss, dass er, der zuvor von der Gesellschaft ausgegrenzt worden war, erkannt und geachtet wird. Er besorgte Stoff, färbte ihn schwarz und weiß, seine Schwester nähte beides zu Fahnen zusammen. Am Kornmarkt kaufte er Kuhglocken, um am Rosegger-Sportplatz, wohin die Eintracht wegen des kriegszerstörten Riederwalds auswich, Rabatz zu machen. 1959, im Jahr des 60. Bestehens, wurden seine Idole erstmals deutscher Meister. Sonneberg eilte nach dem Titelgewinn auf den Rasen und trug Alfred Pfaff auf den Schultern. 1963 ging es auch für ihn mit der Bundesligagründung als Zuschauer ins Waldstadion, dank Dauerkarte auf der Gegengerade hatte er über Jahre seinen Stammplatz. 1974 beim Pokalsieg war er genauso dabei wie beim Europapokaltriumph 1980. Als Trainings-Kiebitz sah er Spieler und Trainer kommen und gehen. Nach Rentenbeginn 1994 brachte er sich als helfende Hand im Vereinsarchiv ein, während später zunächst Schwester Lilo öffentlich über die Verfolgung der Familie berichtete. "Endlich reden" heißt ihr Buch, das sie 2005 veröffentlichte und das bis heute in vier Auflagen erschien.
Es dauerte, bis auch bei Sonneberg langsam die Erkenntnis reifte, dass er seine Zurückhaltung, die nicht zuletzt von Scham herrührte, aus gutem Grund beenden sollte. Im Rahmen einer "Spurensuche" sprach er, von dem viele bis dahin als launigen Stadion-Spaßvogel aus früheren Tagen gehört hatten, im Januar 2019 vor mehr als hundert Zuhörern im Museum. Unter Tränen brach er sein Schweigen, schilderte seinen Schmerz, den die Verfolgung während des Dritten Reichs angerichtet hatte, und er entschloss sich, in einem politischen Umfeld, in dem Rechtsnationalisten erstarken, bewusst seine Geschehnisse dann doch offensiver zu erzählen. Vor allem Gesprächsrunden in Schulen werden ihm ein Bedürfnis. Sonneberg selbst erläuterte nie seine späte Herangehensweise an die Darlegung der Fakten. Immer gab er dem Auditorium einen Warnhinweis mit auf den Weg. "Passt auf, seid hellhörig, lasst euch nicht beeinflussen! Aber setzt euch damit auseinander, damit so was nicht mehr passiert!" Manchmal sagte er auch nur: "Bleibt wachsam!" Ein versöhnliches Ende fand jeder Austausch mit der Erkenntnis: "Ich kann vergessen, ich kann auch verzeihen, aber die Narben, die bleiben."
Am 10. Februar des vergangenen Jahres starb Sonneberg im Krankenhaus in Sachsenhausen. Ihm zu Ehren hieß der Weihnachtsbaum am Römer "Sonny", nachdem 2023 die Mitglieder der Eintracht für die Namensgebung zuständig waren. Dass das, was Sonneberg zu sagen hatte, die Menschen weiter erreicht, ist auch durch das Buch gewährleistet. Und Veranstaltungen wie an diesem Mittwoch (19.30 Uhr) im Eintracht-Museum, wenn im Hinblick auf den "Erinnerungstag" im deutschen Fußball im Museum die Biographie "Sonnys Geschichte - Von Ausgrenzung und Eintracht" vorgestellt wird. Auch Sonnebergs Tochter Suzanne wird dann bei der Präsentation zu Gast sein.
Matthias Thoma
Sonnys Geschichte
Von Ausgrenzung und Eintracht
Eintracht Frankfurt Museum GmbH. Frankfurt 2024. 208 Seiten.
© Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt.Es wurden noch keine Bewertungen abgegeben. Schreiben Sie die erste Bewertung zu "Sonnys Geschichte" und helfen Sie damit anderen bei der Kaufentscheidung.