Die Welt im Ungleichgewicht: wie die Finanzkrise 1931 Hitlers Aufstieg ermöglichte
Während der Weltfinanzkrise von 2008 ist wohl kein Ereignis der Wirtschaftsgeschichte so oft in Erinnerung gerufen worden wie der Börsencrash von 1929 und die deutsche Finanzkrise von 1931. Sie waren Ausgangspunkt einer politischen Entwicklung, die zum Zusammenbruch der Weimarer Republik und zum Aufstieg Hitlers führte und im 2. Weltkrieg mündete.
Doch was geschah damals wirklich? Das schildert Tobias Straumann, Wirtschaftshistoriker an der Universität Zürich, in seinem Buch:
Wie Europa 1931 bei der Lösung der Wirtschaftskrise versagte
Für Tobias Straumann bildet die deutsche Finanzkrise von 1931 nicht nur eine wirtschaftshistorische Zäsur. Sie läutet auch das Ende der Weimarer Republik ein. Die deutsche Regierung erklärte das Reich für zahlungsunfähig, woraufhin das Bankensystem zusammenbrach. Weltweit brach eine Panik aus, die das globale Finanzsystem in seinen Grundfesten erschütterte und die Weltwirtschaft in eine tiefe Depression riss. Infolgedessen erstarkten die politisch extremistischen Kräfte rasant.
Warum scheiterten Bankiers, Diplomaten und gemäßigte Politiker an einer Lösung, um rechtzeitig den Aufstieg Adolf Hitlers zu vermeiden? Hätte Europa diese Krise gemeinsam bewältigen können? Eindrücklich geht der Autor in seinem Sachbuch diesen Fragen nach. Nicht nur für Historiker, sondern auch für politisch interessierte Leser ein wichtiges Geschichtsbuch, das angesichts der derzeitigen EU-Krise aktuell wie nie ist!
Inhaltsverzeichnis
Besprechung vom 15.02.2021
Ein explosives Gemisch
Die Finanzkrise 1931 und der Aufstieg der Nazis
Der Börsencrash im Jahr 1929 an der Wall Street gilt vielen als Auslöser der großen Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre, in deren Folge die Arbeitslosigkeit schnell stieg und damit der Boden für den Aufstieg Adolf Hitlers bereitet wurde. Doch für Wirtschaftshistoriker ist nicht 1929, sondern 1931 das entscheidende Jahr, in dem die Weltwirtschaftskrise ein bedrohliches Ausmaß annahm, schreibt Tobias Straumann in seinem lesenswerten Buch "1931: Die Finanzkrise und Hitlers Aufstieg".
Jener Sommer habe viel verheerendere Wirkung auf die Weltwirtschaft gehabt als der Börsensturz eineinhalb Jahre zuvor. Zwar habe Hitlers Aufstieg schon vorher begonnen, doch die Beschleunigung der Krise in jenen Monaten habe seine Partei auf neue Höhen geführt. Minutiös schildert er, wie die deutsche Regierung unter Reichskanzler Heinrich Brüning Stück für Stück in die Finanzkrise hineingeriet, bis im Juli 1931 mit dem Zusammenbruch der Danat-Bank ein Ansturm auf die Banken einsetzte und eine internationale Liquiditätskrise auslöste.
Straumann beschreibt nüchtern, wie Politiker, Diplomaten und Bankiers die Katastrophe verhindern wollten, aber doch scheiterten. Auch deshalb, weil aggressives Gebaren deutscher Würdenträger die öffentliche Meinung im Ausland so verschlechterte, dass Politiker kaum noch Zugeständnisse machen konnten. Die großen Gläubigerländer Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten hätten an der Entstehung der Finanzkrise eine ebenso große Verantwortung wie die Regierung Brünings, weil es niemand schaffte, die Forderungen mit den wirtschaftlichen Realitäten in Einklang zu bringen. Es ist eine Mahnung, wie schnell Krisen aus dem Ruder laufen können. Akribisch zeigt Straumann, wie die Vorgänge damals in der Presse kommentiert wurden, in den großen französischen Zeitungen "Le Figaro", "Le Temps", den britischen Wirtschaftsblättern "The Economist" und "Financial Times" und in der "New York Times".
Ursprünglich habe er das Buch für die englischsprachige Welt geschrieben, betont der Autor. Mit einer deutschen Ausgabe wolle er nun dazu beitragen, dass "man sich auch in Deutschland noch stärker bewusst wird, welche Verantwortung das Land heute als größter Gläubiger Europas trägt". An der Lösung von Schuldenkrisen südeuropäischer Länder müssten sich Schuldner und Gläubiger beteiligen, mahnt Straumann.
TILLMANN NEUSCHELER
Tobias Straumann: 1931 - Die Finanzkrise und Hitlers Aufstieg, wbg Theiss, Darmstadt 2020, 264 Seiten
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