"...Wir argumentieren in diesem Essay zum einen, dass die EU als politisches Projekt gescheitert ist; zum anderen, dass das Russland-Bild im Westen falsch oder doch zumindest unzureichend ist, auch wenn die demokratischen Defizite Russlands offensichtlich sind..."
Mit diesen Zeilen aus dem Vorwort wusste ich als Leser, was mich erwartet. Ich werde mit Meinungen und Argumenten konfrontiert werden, die sich außerhalb des Mainstreams befinden. Ich habe mich darauf eingelassen.
Sehr ungewöhnlich fand ich schon die Widmung. Sie gilt Michael Sergejewitsch Gorbatschow und Jacques Delors.
Zu Beginn setzen sich die Autoren kurz mit der aktuellen Politik auseinander. Eine ihrer Thesen, die sie historisch begründen, besagt, dass Europa ohne Russland nicht vollständig ist.
Im ersten Teil geht es dann um die europäischen Träume nach der Wende. Mit Zitaten von Staatsmännern belegen die Autoren, wie an einer europäischen Einigung gearbeitet wurde. Der Vertrag von Maastrich und die Währungsunion waren Meilensteine der Entwicklung.
Doch die Sicht der Autoren auf die USA zeigt, wo erste Problemfelder entstehen konnten.
"...Sie verstanden den Mauerfall und das Ende des Kalten Krieges nicht als eine Einigung Deutschlands und Europas, sondern als Sieg ihres Imperiums über den einzigen ebenbürtigen Konkurrenten, die Sowjetunion..."
Detailgenau werden die Erweiterungen der EU und die einzelnen Verträge aufgezählt, aber auch Defizite deutlich gemacht. Das liest sich so:
"...Die EU glich in diesen Jahren dem Versuch, Mayonnaise zu machen, die immer dann missglückt, wenn man zu schnell zu viel Speiseöl dazugibt..."
Im 2. Teil geht es um die Entwicklung nach 2004. Ein grundlegender Einschnitt war das Scheitern einer europäischen Verfassung. Hinzu kommt, dass nicht alle Organe der EU demokratisch legitimiert sind.
Auch hier wird die Rolle der USA beleuchtet. Dabei wird deren Rolle für den Putsch in Chile herausgestellt und aufgezeigt, wie sich das Vorgehen geändert hat.
Während die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland zunahmen, verhärteten sich die politischen Fronten.
Ausführlich wird auf die Entwicklung in der Ukraine eingegangen. Es bleibt den zukünftigen Leser überlassen, die Darlegung der Autoren zur Kenntnis zu nehmen und sich eine persönliche Meinung zu bilden.
In dem Zusammenhang wird nochmals an die Wiedervereinigung erinnert.
"...Die Russen kamen den Amerikanern entgegen, verzichteten auf ihr Ziel eines neutralen Deutschlands und ermöglichten so die Wiedervereinigung. Hinter dieser Entscheidung stand sicherlich auch der Respekt, den man in Russland allgemein Deutschland und der deutschen Kultur entgegenbringt..."
Neben dem Ukrainekrieg wird ebenfalls die aktuelle Politik in Deutschland unter die Lupe genommen.
Im dritten Teil werden Vorschläge unterbreitet, wie ein starkes Europa entstehen könnte.
Ich finde es mutig, wie die Autoren ihre Meinung vertreten. Gleichzeitig bin ich dadurch als Leser angehalten, die Argumente abzuwägen und mir eine eigene Meinung zu bilden. Der Blick auf aktuelle Geschehnisse kann dabei durchaus sehr hilfreich sein.