Von Dammam bis Dschidda, von Riad bis ans Rote Meer: Ein unbekanntes Land öffnet sich.
Jahrzehnte verschlossen, erlebt Saudi-Arabien gerade einen epochalen Wandel. Monatelang hat Nadine Pungs den Golfstaat allein bereist: Von der Hafenstadt Dschidda bis zur Hightech-Metropole Riad, von der antiken Schatzkammer al-Ula bis zur heiligen Stadt Medina lernt sie besonders die weibliche Seite des Landes kennen.
Sie gewinnt exklusive Einblicke, die männlichen Reisenden in der Regel verwehrt bleiben.
Nadine Pungs, die bereits alle Länder am Persisch-Arabischen Golf bereist hat, ist eine profunde Arabien-Kennerin. In Saudi-Arabien trifft sie eine feministische Koranlehrerin und eine lesbisch lebende Ingenieurin. Aber begegnet auch einem Prinzen oder einem kleinen Jungen, der aus dem benachbarten Jemen floh.
Klarsichtig und anrührend erzählt Pungs Geschichten, wie sie in den Nachrichten nie vorkommen würden.
»Hier ist eine Frau unterwegs, die nichts versteckt, auch nicht die Mühsal der Fremde, die Sprachlosigkeit, die Unruhe. Und die sie in einem Ton schildert, der swingt und uns daran erinnert, was dreißig stille Buchstaben vermögen. « Andreas Altmann
Besprechung vom 13.02.2025
Königreich voller Widersprüche
"Der Golfstaat sperrt auf": Die Arabien-Kennerin Nadine Pungs spürte 2020 und 2023 als alleinreisende Frau den Transformationen im lange abgeriegelten Königreich Saudi-Arabien nach, das seit 2019 Touristenvisa vergibt. Sie bereiste progressive Städte wie die Glitzer-Metropole Riad, Dschidda am Roten Meer und konservative Regionen wie die Provinz al-Qassim oder die "Stadt des Propheten" Medina. Das Buch erörtert die Frauenbefreiung von der konservativen Wende 1979 zu den vom Kronprinzen Muhammad bin Salman nach Amtsantritt 2017 initiierten Reformen als autokratisch eingehegte "Revolution von oben".
Pungs porträtiert den Golfstaat im Querschnitt des Gesellschaftsspiegels wie eine Koranlehrerin, die einen "saudischen Weg" der Frauenemanzipation einfordert, Studentinnen und Ingenieurinnen, die Managerin eines hippen Coffeeshops, aber auch Gastarbeiter, Illegale und Bettler im Grenzgebiet zum Jemen. Berührend ist auch das Kapitel über die Oasenstadt Ha'il, in dem sich Pungs auf Spurensuche ihres Idols, der britischen Wüstenreisenden Gertrude Bell, begibt. Für die Autorin ist Saudi-Arabien ein Sowohl-als-auch-Land: Nation Branding mit Fußball als neuem Mekka und der WM 2034 als kontroversem Event auf der einen Seite und Imageproblemen auf der anderen, Tiktok und Todesstrafe, neuen sozialen Freiheiten und Spionagesoftware sozialer Medien. Pungs beschreibt Identitätsfindung und Größenwahn und stellt Megaprojekte der sogenannten "Vision 2030" wie die ökonomische Entwicklungszone "Neom" als schöne neue Welt ohne Menschenrechte vor. Die Autorin, die als teilnehmende Beobachterin beim Zuckerfest oder Yogakurs auf einem Hochhausdach mitmacht, die Tinder-Matches pflegt und überall das "Spiel der Höflichkeit" als Kulturzug erfährt, äußert das Desiderat von "Ambiguitätstoleranz" im Umgang mit dem komplexen Königreich. STEFFEN GNAM
Nadine Pungs: "Frühling in Saudi-Arabien. Begegnungen in einem Land der Widersprüche". Malik Verlag, München 2024. 288 Seiten. Broschiert
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