Ich bin ehrlich gesagt sehr enttäuscht und wütend. Ich hatte mich riesig gefreut auf ein Fantasy-Buch mit lesbischen Hauptfiguren und den Großteil des Buches mochte ich tatsächlich gerne. Vor den letzten 30 Seiten wäre es wahrscheinlich bei ungefähr 3,5 Sternen für mich herausgekommen. Das hat vor allem mit meinem persönlichen Geschmack, was den Schreibstil und die Geschwindigkeit der Geschichte betrifft, zu tun. Stellenweise fand ich sie auch etwas vorhersehbar. Trotz dessen habe ich das Buch schnell gelesen, fand viele der Ideen sehr kreativ und wollte mehr über die Welt lernen. Und die Liebesgeschichte der beiden Hauptfiguren war süß. In vielen Aspekten konnte ich mich selbst wiedererkennen. Insgesamt eine wirklich solide Geschichte, die mich nicht komplett umgehauen hat, aber unterhaltsam war.
Und nun zu dem Aspekt, der mich so wütend macht (Achtung: Spoiler!): Jack/Djakal/Akko. Was das ganze umso frustrierender macht, ist die Tatsache, dass die Autorin so subtil und respektvoll mit Depressionen umgegangen ist. Sie nehmen keinen übermäßig großen Teil der Geschichte ein, sind aber wichtiger Bestandteil von Junos Lebensgeschichte und wurden in meinen Augen angemessen thematisiert ohne in Klischees abzurutschen.
Das gleiche wurde der dissoziativen Persönlichkeitsstörung leider nicht eingeräumt. Irgendwie schafft es die Autorin eine derart komplexe Krankheit gleichzeitig zu vereinfachen, falsch darzustellen und auf den wenigen Seiten, auf denen sie thematisiert wird, in jedes erdenkliche Stereotyp der Medienlandschaft abzurutschen.
An dieser Stelle möchte ich klarstellen, dass ich selbst nicht unter einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung leide und bei weitem keine Expertin zu dem Thema bin. Dass das Buch, so wie es die Krankheit darstellt, schädlich für Menschen ist, die es tatsächlich tun, halte ich dennoch für recht offensichtlich. Seit Jahren wird die Darstellung von Menschen mit multiplen Persönlichkeiten in Film, Fernsehen und Büchern von ebendiesen stark dafür kritisiert, dass sie alle auf das gleiche, falsche Klischee zurückgreifen: die dunkle Persönlichkeit bzw. der unentdeckte Serienmörder.
Ein Klischee, das der Wahrheit nicht weniger entsprechen könnte. In jedem Fall ist eine Person mit einer dissoziativen Persönlichkeitsstörung ein Opfer. Die Krankheit kann ausschließlich im Kindesalter bis etwa 10/11 Jahre entstehen und das nur aufgrund der Auswirkungen von extrem traumatischen Erfahrungen und anhaltender Misshandlung. Jede Person mit einer solchen psychischen Krankheit hat als Kind unglaubliches Leid erlitten, damit das Gehirn zu derart drastischen Maßnahmen greifen musste wie eine erzwungene Amnesie zwischen Teilen des Gehirns, die sich dann als unterschiedliche Persönlichkeiten ausdrücken, um irgendwie mit dem Erlebten umgehen zu können.
Entsprechend der einseitigen und gefährlichen Darstellungen der Krankheit in den Medien ist sie bereits überaus stigmatisiert. Dass dieses Buch sie als unheimlich bezeichnet und auf den altbekannten sadistischen und unfassbar gewalttätigen Serienmörder zurückgreift, ist nur ein Art, auf die es diese Serie der Ausgrenzung fortführt.
Weiter äußert Akko als gute Persönlichkeit sofort einen Todeswunsch, sobald das Geheimnis über seine Krankheit ans Licht kommt. Ich kann mir nicht vorstellen, wie schwierig es sein muss damit zu leben, mehrere Persönlichkeiten in sich vereinen zu müssen und gleichzeitig das erfahrene Trauma aufzuarbeiten. Suizid ist daher unter Menschen mit dissoziativer Persönlichkeitsstörung deutlich häufiger als in der breiten Bevölkerung, was mit Sicherheit mit dieser Belastung zu tun hat. Aber sollte es angesichts dessen in der Darstellung der Krankheit nicht eher darum gehen, aufzuzeigen, dass ein gutes Leben trotzdem möglich ist? Dass es nicht unmöglich ist, eine gute Kommunikation zwischen allen Persönlichkeiten herzustellen, das Leben um die Krankheit herum zu organisieren, geliebt zu werden und die traumatischen Lebenserfahrungen aufzuarbeiten? Es geht nicht darum, so zu tun, als wäre das einfach. Das ist es sicher nicht. Aber ist es nicht letztlich die viel stärkere Nachricht, auf Menschen zu hören, die es geschafft haben und denen, die noch damit kämpfen, Hoffnung zu geben anstatt sie als Mörder darzustellen, deren beste Option der Tod ist?
Die Implikationen des Gnadentods von Akko/Jack muss ich vor dem Hintergrund, denke ich, nicht weiter ausführen.
So eine billige Wendung hätte das Buch wirklich nicht nötig gehabt, ganz abgesehen von dem Schaden, den eine solche Darstellung anrichtet.
Für alle, die sich ernsthaft damit auseinandersetzen wollen, wie sich eine dissoziative Persönlichkeitsstörung wirklich äußert und wie man als Betroffene/r damit lebt, empfehle ich DisassociaDID auf YouTube.