Im Schatten einer Sommernacht


Exklusiv-Interview mit Kate Morton

Australiens erfolgreichste Autorin Kate Morton hat ihr Herz an England verloren. Hier findet sie auch die Inspirationen und Schauplätze für ihre internationalen Bestseller, etwa Das geheime Spiel und Der verborgene Garten. Ihr neuester Roman Das Seehaus führt nach London, wo Kate Morton am Trinity College studiert hat, und natürlich in ihre Lieblingsregion: Das malerische Cornwall bietet die ideale Kulisse für die Geschichte um ein folgenreiches Familiengeheimnis.

England ist nicht nur eines Ihrer liebsten Reiseziele, sondern Sie leben zur Zeit mit Ihrer ganzen Familie dort..
Es war schon immer mein großer Traum, möglichst viel Zeit in England zu verbringen. Ein Glück, dass meine Familie diese Begeisterung teilt. Wir lieben es, gemeinsam durch die Landschaft zu streifen und überall Geschichte auszugraben. Meine zwei größeren Söhne haben sich hier so toll eingelebt, dass sie sich sogar in der Schule wohlfühlen. So bleiben wir statt des ursprünglich geplanten halben Jahres ein ganzes. Herrlich, so erleben wir England zu allen Jahreszeiten. Und ich habe jede Menge Zeit zum Recherchieren für meine Romane.

London ist sowohl ein Schauplatz Ihres neuen Romans "Das Seehaus" als auch eine wichtige Station Ihrer Biografie. Was ist für Sie das Faszinierende an dieser Stadt?
London ist meine Lieblingsstadt. Tradition und Fortschritt treffen hier aufeinander und verschmelzen. Die Stadt ist so unglaublich dynamisch. Alles ist in einem ständigen Wandel.

Der lebenskluge Bertie aus Ihrem Roman sagt über den Hauptschauplatz Cornwall: "Es war Liebe auf den ersten Blick." Bei Ihnen selbst ebenfalls, oder?
Oh ja! So weit ich zurückdenken kann, war ich aus der Ferne in Cornwall verliebt.

Was inspiriert sie an der Gegend?
Cornwall an sich inspiriert mich. Es ist für mich eine Art Zauberland, voller Mythen und Magie und natürlich von außergewöhnlicher Schönheit. Es gibt so viele wunderbare Entdeckungen, windumtoste Küsten und Wildblumen an den Wanderwegen, die Lost Gardens von Heligan, alte Architektur voller Geschichte und Geschichten.

Mit "Das Seehaus" setzen Sie eine Ihrer Traditionen als Autorin fort, denn Sie erzählen wieder eine sehr bewegende, äußerst dramatische Familiengeschichte über mehrere Generationen. Was macht diesen Romanstoff für Sie immer aufs Neue reizvoll?
Die Familie bietet das perfekte Theater im Kleinen, um die ganz großen und lebenswichtigen Themen anzusprechen. Mich faszinieren die engen und komplexen Beziehungsgeflechte in Familien. Aber wie auch immer sich diese Beziehungen verändern - sie lösen sich nie ganz.

Die Vergangenheit spielt eine entscheidende Rolle. Was möchten Sie bewusst machen?
Eines der Hauptthemen meiner Romane ist, dass die Vergangenheit nie wirklich vergeht. Die Geheimnisse einer Familie mögen tief vergraben sein, aber es besteht immer die Möglichkeit, dass sie wieder hervorkommen und in der Gegenwart herumspuken.

Eine der beiden weiblichen Hauptfiguren ist Alice Edevane, die wir als 15-Jährige im Sommer 1933 kennen lernen. Was sehen Sie in ihr?
Über Alice zu schreiben, war für mich ein besonderes Vergnügen - vor allem angesichts des Kontrasts zwischen der blutjungen Alice Anfang der 1930er Jahre und der betagten Alice, mit der wir es in der Gegenwart zu tun haben. Aus dem romantischen, neugierigen Mädchen wird eine sehr selbstbewusste Lady, die ihren eigenen Kopf hat.

Sie sind Mutter von drei Söhnen und sagen, dass Ihre Kinder Sie sehr verändert haben. Inwiefern?
In vielerlei Hinsicht. Ganz bestimmt haben mich die Jungs zu einem weitaus geduldigeren Menschen gemacht. Und sie haben mein Gefühlsspektrum erweitert: Ich empfinde Freude und Frust, Sorgen und Liebe viel intensiver, als ich es für möglich gehalten hatte, bevor meine Söhne auf der Welt waren.

Kinder haben in "Das Seehaus" schicksalhafte Bedeutung. Worum geht es Ihnen dabei?
Als ich "Das Seehaus" schrieb, war ich mit meinem dritten Sohn schwanger. Da richteten sich meine Gedanken naturgemäß auf Kinder und auf die Bedeutung, die sie in unserem Leben einnehmen. Was mich besonders bewegte, waren die Heftigkeit, mit der man sich ein Kind wünschen kann, die aufopferungsvolle Liebe, die Eltern für ihre Kinder empfinden, aber auch die Schuldgefühle, ob man wirklich alles richtig macht. So beschäftigte mich beim Schreiben immer die Grundfrage: Wie weit würde jemand für sein geliebtes Kind gehen??

Der Austausch mit Ihren Lesern liegt Ihnen offenbar sehr am Herzen, wie beispielsweise Ihre Facebook-Seite zeigt. Was ist für Sie das Schöne daran?
Was wären wir Autoren ohne unsere Leser? Klar, es ist aufregend, ein Buch zu schreiben. Aber jede Geschichte fängt doch erst zu leben und zu atmen an, wenn die Leserin oder der Leser sie zum Leben erweckt. Ich liebe dieses Zusammenspiel. Es ist etwas sehr Vertrautes. Mich freut es immer wieder, wenn ich von Lesern erfahre, dass sie in die gleiche Welt gereist sind wie ich.

Das im Titel erwähnte Seehaus ist ein Landgut namens Loeanneth Anfang der 1930er Jahre. Welche Stimmung schwebte Ihnen vor?
Mit Loeanneth in den 1930er Jahren wollte ich die idyllische Atmosphäre eines Ortes heraufbeschwören, an den man sich von der Welt zurückziehen kann und Geborgenheit findet. Mir kam es auf den Kontrast an - und der könnte nicht größer sein als zwischen dem lieblichen Landgut um 1930 und dem verlassenen, fast etwas unheimlichen Anwesen, zu dem sich Loeanneth später entwickelt.
Kate Morton