Wie von einem anderen Stern

Wie von einem anderen Stern


Exklusiv-Interview mit Amelie Fried

Ob als TV-Moderatorin oder Bestseller-Autorin, die mit ihren Romanen auch Vorlagen für erfolgreiche Fernsehverfilmungen lieferte: Amelie Fried beweist ein feines Gespür, was Menschen bewegt. Und sie versteht es virtuos, Lesern besondere Lebensgeschichten nahezubringen, indem sie lebendige Romanfiguren mit stimmiger Psychologie erschafft. Ganz großartig ist ihr das auch in ihrem neuen Roman gelungen.

In "Ich fühle was, was du nicht fühlst" lassen Sie die Zeit Mitte der 70er Jahre lebendig werden. Was hat Sie damals bewegt?
Ich habe 1975 mit 16 Jahren Abitur gemacht und danach ein Gefühl großer Freiheit empfunden. Ich hatte das Gefühl, alles ist möglich - und gleichzeitig hatte ich keine Ahnung, wohin ich eigentlich wollte. Ich fühlte mich zwischen allen Stühlen: Für die 68er-Bewegung war ich zu jung, ein richtiges Hippiemädchen war ich auch nicht, wie meine Eltern wollte ich auch nicht werden.

Und was macht das Jahr 1975 literarisch interessant für Sie?
Ich wollte die Geschichte eines 13-jährigen Mädchens erzählen, das ungefähr in derselben Zeit aufwächst wie ich. Und ich wollte das Lebensgefühl der 70er Jahre erzählen, das Aufeinanderprallen von neuer Freiheit und alter Spießigkeit, aber auch die Lebenslügen der 68er-Generation.

Als Ihre Romanheldin India 13 wird, ist ihr größter Geburtstagswunsch die Änderung ihres Vornamens. Warum ist der so schlimm für sie?
In der Zeit damals war schon der Name Amelie total exotisch. Ich habe meinen Namen gehasst, wollte viel lieber Sabine, Susanne oder Monika heißen, wie meine Klassenkameradinnen. Überlegen Sie mal, wie ausgeflippt India da gewirkt haben muss! Wenn einen schon der Vorname zur Außenseiterin macht, ist es schwer dazuzugehören. Und in diesem Alter ist Dazugehören das Wichtigste überhaupt.

Nicht selten kommt sich India vor wie von einem anderen Planeten...
India ist in vielerlei Hinsicht anders als die Gleichaltrigen um sie herum. Sie ist ausnehmend intelligent - heute würde man sie wohl hochbegabt nennen. Sie ist sicher das, was man als hochsensible Persönlichkeit bezeichnet. Sie ist außerdem Synästhetikerin, das heißt, bei ihr sind unterschiedliche Sinneswahrnehmungen miteinander verbunden. So spürt sie zum Beispiel Musik als Berührungen auf der Haut.

India rechnet die kompliziertesten Aufgaben im Kopf. Sie sieht jede Zahl in einer speziellen Farbe und sagt zu ihrer Beruhigung Primzahlen auf. Was war für Sie das Erstaunlichste bei Ihren Recherchen über Menschen wie India?
Ich war immer schon fasziniert von Hochbegabungen im Bereich Mathematik, vermutlich, weil ich selbst das Gegenteil bin: eine totale Mathe-Null. Dass Menschen Mathematik verstehen, sogar lieben können, dass sie Lust empfinden beim Umgang mit Zahlen - da stehe ich fassungslos, aber auch voller Bewunderung und vielleicht sogar mit etwas Neid davor. Auch das Phänomen der Synästhesien, die oft mit solchen Hochbegabungen einhergehen, finde ich hochinteressant. Die bei India unter anderem beschriebene Musik-Berührungs-Synästhesie ist sehr selten, aber ich habe zwei Frauen gefunden, die sie haben.

In Indias Familie herrscht Chaos. Was macht für Sie eine gute Eltern-Kinder-Beziehung aus?
Ich habe sicher - ebenso wie mein Mann - eine Menge Fehler bei der Kindererziehung gemacht. Aber eines ist uns in all den Jahren gelungen: Wir haben immer den Kontakt zu unseren Kindern behalten, waren immer im Gespräch mit ihnen, auch in schwierigen und krisenhaften Phasen. So konnten wir verhindern, dass eines der Kinder uns entgleitet - wie es im Buch mit Indias Bruder Che geschieht. Aber letztlich muss man wohl einfach froh sein, wenn alles gut gegangen ist.
Amelie Fried

Das Buch zum Interview

Das Buch zum Interview


Ich fühle was, was du nicht fühlst

Wie exotische Wesen wirken die 13-jährige India und ihre Familie in der bürgerlichen Kleinstadt-Welt. Hier sind sie Außenseiter, weil sie ständig auffallen: India durch Glanzleistungen in der Schule und ihre Hippie-Eltern durch provokante Kunstaktionen. Dass India mit spöttischem Scharfblick die Lebenslügen der Erwachsenen durchschaut, macht es ihr keineswegs leichter. Verstanden fühlt sie sich nur von ihrem Musiklehrer. Doch er entdeckt neben ihrer außergewöhnlichen Klavierbegabung auch ihr größtes Geheimnis. Bald nimmt ein Drama seinen Lauf... Psychologisch subtil und sehr spannend - ein packendes Leseerlebnis für alle Generationen!