Eine faszinierende Landschaft voller Geschichten und Geheimnisse


Sophie von Sand ist die fast 100-jährige Matriarchin, die ebenso stachelig und fest im Boden verankert ist wie eine Distel, sich aber trotzdem ihre Herzlichkeit bewahrt hat - so beschreibt Autorin Jo Schulz-Vobach die Lieblingsfigur in ihrem Roman "Die Sanddistel". Sophies liebenswert-verrückter Familienanhang füllt die Geschichte, die vor der Kulisse der Ostseeinsel Rügen spielt, erst mit ihren Streitereien und Wiederversöhnungen aus. Dabei muss sich die in alle Himmelsrichtungen verstreute Familie von Sand einigen Problemen stellen.

Liebe Jo Schulz-Vobach, was hat Sie zu Ihrer Familiensaga "Die Sanddistel" inspiriert?
"Am Anfang war es eine Kurzgeschichte - 'Elses Haus', vor etlichen Jahren nach Erzählung einer Freundin über Sommerferien ihrer Familie im Haus der resoluten und ihre Unabhängigkeit liebenden Großtante in Südtirol geschrieben. Dann, nach der deutschen Wiedervereinigung und ersten Urlaubstagen auf Rügen, wurde die Ostsee-Insel für mich zur Traum-Insel - und die in der allen Schreibenden bekannten Schublade lagernde Kurzprosa mit Else zum Roman-Projekt. Alles, was ich für meine Idee, aus diesem Zehn-Seiten-Text einen Roman zu machen, brauchte, fand ich auf Rügen: Eine faszinierende Landschaft, marode Gemäuer, die voller Geschichten und Geheimnisse sind, und liebevoll restaurierte Herrenhäuser und Schlösser, die an die wechselvolle Historie Rügens, an einstigen Glanz, an Vertreibung und Neuanfang erinnern. Aus 'Else' (eine meiner Lieblingsfiguren) wurde 'Sophie von Sand', wie ihr Vorbild ebenso sperrig-stachelig wie sanft und verständnisvoll. Und aus Elses Familie wurden die von Sands - noch ein bisschen verrückter und liebenswerter als Elses Anhang.

Sie scheinen immer auf der Suche nach besonderen historischen Stoffen. Wie entstehen Ihre Romanen genau?
Der 'rote Faden' einer Geschichte wird gesponnen... auf Wanderungen, Spaziergängen, beim Bügeln, in schlaflosen Nachtstunden. Ideen zum Thema, Formulierungen, das eine oder andere Wort, das im Kopf herumspukt - das alles wird festgehalten im Notizblock, auf Zetteln. Auf dem Schreibtisch sammelt sich entsprechende Literatur, unbedingt erforderlich für historische Daten und Fakten. Die Romanfiguren, ihre Charaktere werden skizziert. Erste Sätze werden im Kopf ausprobiert, wieder verworfen, neu begonnen. Manchmal hilft das Blättern in einem Lieblingsbuch, ein Satzfragment, ein einziges Wort, das den Fluss der Gedanken in die richtige Richtung lenkt. Und dann, wenn der erste Satz passt - dann gibt es kein Aufhalten mehr im Schreiben.

Was ist das schönste Geschenk, das Ihnen ein Leser Ihrer Romane machen könnte?
Wenn sich die Leserin, der Leser dazu verführen lassen, in die Welt, in das Leben meiner Romanfiguren zu tauchen - wenn schon einzelne Worte aus meinem Text genügen, um 'Bilder' im Kopf entstehen, meine Figuren lebendig werden zu lassen - wenn meine Geschichte zum Nachdenken, zum Lachen und zuweilen auch zu Tränen verleitet - wenn mein Roman zu einem Lieblingsbuch im Regal wird - wenn eine Geschichte auch nach dem letzten Satz noch lange im Kopf bleibt - und wenn jemand mich, die Autorin, dies auch wissen lässt, auf welchem Weg auch immer.

Haben Sie bestimmte Rituale wenn Sie schreiben?
Die 'Zettelwirtschaft' auf dem Schreibtisch wird geordnet, das Geschriebene vom Vortag nochmals durchgelesen und zuweilen Wundern darüber, in welche Richtung sich die eine oder andere Figur des Romans, der Geschichte verselbständigt hat. Korrekturen, wenn nötig, werden vorgenommen. Leise Klassikmusik im Hintergrund. Und der Tee - natürlich der Tee, grün, viel geriebener Ingwer in der anderthalb Liter-Kanne - seit Jahren deshalb keinen Schnupfen mehr gehabt!. Die Schale mit Nüssen oder Obst steht in Griffnähe. Zeit spielt eine Nebenrolle. Nur die Uhranzeige unten am Monitor erinnert daran, dass z.B. die Essenszeit - meistens längst vorbei - ist.

Wie kann man sich Ihren Arbeitsplatz vorstellen?
Ab zehn Uhr am Vormittag ist Schreibklausen-Zeit - wenn die Sonne nicht zum Spaziergang oder gar zur Wanderung über die Kärntner Nockberge verlockt. Im Radio wird der Klassik-Sender eingestellt, dann die tägliche Suche nach der Computerbrille. Auf dem Monitor erscheint der Text vom Vortag; immer wieder Wundern über die Verselbständigung der einen oder anderen Romanfigur! Dann die eine oder andere Korrektur im Text. Ab und zu der Griff zur Schale mit Nüssen und Obst, der Griff zur Teetasse - ach ja, Tee, grün, geriebener Ingwer ist drin, Allheilmittel gegen Erkältung oder Schnupfen. Im Radio spielen sie Mozarts Klavierkonzert, der Alltag rückt mehr und mehr in den Hintergrund. Jetzt bin ich für die nächsten drei, vier, fünf Stunden nur noch schreibende Erzählerin...
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Das Buch zum Interview

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Die Sanddistel

Wie eine Distel ist sie voller Stacheln und fest im Boden verankert: So heißt es über Sophie, die fast 100-jährige Matriarchin von Gut Distelitz auf Rügen. Doch nun kommt auf die ebenso lebenskluge wie streitbare alte Dame eine besondere Herausforderung zu: Gerade ist in Berlin die Mauer gefallen und das alte Landgut soll zum Schauplatz der Wiederbegegnung der in alle Himmelrichtungen verstreuten Familie werden. Dabei hat vor allem ihr ältester Sohn Franz eigene Pläne, wie es mit dem Erbe weitergehen soll.