Buchhandlungen eint eine seltene Eigenschaft: Ruhe.


Torsten Woywod ist gelernter Buchhändler und startete 2005 das Projekt "Around the World in 100 Bookshops". Zunächst bereiste er "nur" die schönsten Buchhandlungen Europas. Danach ging es in die weite Welt. Für sein Engagement für die Buchwelt erhielt Torsten Woywod 2015 den Young Excellence Award des Börsenblatts. Nun hat er seine Reiseeindrücke aufgeschrieben und entführt uns mit seinem Buch "In 60 Buchhandlungen durch Europa" in die schönsten Buchhandlungen. Im Interview erzählt Torsten uns über seine Erlebnisse auf Reisen und weckt Fernweh!


Für all unsere Leser, die Dein Projekt noch nicht so gut kennen: Wie bist du auf die Idee gekommen vier Wochen durch Europa zu reisen, um Buchhandlungen zu besuchen? War dies ein lang gehegter Traum?
Ich würde sagen, dass es eine Mischung aus einem lang gehegtem Traum und einer großen Portion Glück war. Die Faszination für Buchhandlungen war natürlich schon immer vorhanden - und so konnte ich mich bei jedem Urlaub und auf jeder Geschäftsreise in der Vergangenheit darauf verlassen, dass ich mich sehr bald und zuverlässig in der nächstgelegenen Buchhandlung wiederfinden würde. Irgendwann erwuchs daraus ein großer Traum vom Reisen: In Buchhandlungen um die Welt. Und mit jedem Bericht über die schönsten Literaturorte wurde mein Fernweh größer. Für eine Buchcommunity schrieb ich schließlich einen Artikel über meinen Traum vom Reisen, woraufhin sich das eingangs erwähnte Glück hinzugesellte: Drei große Reiseführer-Verlage wurden auf meinen Artikel aufmerksam und boten an, die Umsetzung meiner Reise mit einem Interrail-Ticket zu unterstützen... eine einmalige Gelegenheit!
Nach den vier Wochen Europa war Dir klar: Ich will Buchhandlungen auf der ganzen Welt besuchen! Du hast erzählt, dass Du eigentlich ein ziemlicher "Sicherheitsmensch" bist. Wie viel Überwindung hat es gekostet, diese Idee wirklich durch zuziehen und dafür dein altes Leben zurückzulassen?
Zugegeben: Trotz aller Begeisterung hat es dennoch ein wenig Überwindung gekostet, meinen Job und die Wohnung zu kündigen, um für ein paar Monate in Buchhandlungen um die Welt zu reisen und nicht die geringste Ahnung davon zu haben, was mich anschließend erwarten würde. Mit einem Mal praktisch sämtliche Sicherheiten aufzugeben, ist dann doch ein relativ großer - zumindest aber ein unbekannter - Schritt, doch am Ende hat bei mir die Reiselust überwogen... sehr deutlich, sogar. Auf deiner Reise hast du sicherlich viele interessante Buchhändler kennengelernt. Welcher ist Dir am allerbesten in Erinnerung geblieben?
Es fällt mir unglaublich schwer, einzelne Buchhändler oder Buchhandlungen hervorzuheben, weil es viel zu viele schöne Begegnungen gab, die mir in bester Erinnerung geblieben sind. Teilweise waren es zum Beispiel die Buchhändler selbst, die mir weitere bibliophile Reiseziele in anderen Ländern empfahlen, so dass man sagen kann, dass sie sogar maßgeblich zur Reisegestaltung beitrugen. Fast immer und überall wurden mir ausgedehnte persönliche Touren gewährt, bei denen ich viele spannende Geschichten aus der Vergangenheit der Buchhandlungen erfahren durfte - und in einem Fall habe ich mich sogar ein wenig in die Buchhändlerin verliebt. Den größten Überraschungseffekt bot aber ganz sicher meine letzte Station: Atlantis Books auf Santorini. Wer diese Buchhandlung betritt und die Entstehungsgeschichte kennenlernt, möchte sowieso nie wieder gehen - doch dann öffnete Inhaber Craig sogar auch noch seine antiquarische Schatzkammer und ich konnte kaum glauben, was ich da sah...

Du hast kleine und große Buchhandlungen an oft ungewöhnlichen Orten besucht. Bei aller Unterschiedlichkeit, gibt es auch etwas, was diese Häuser über alle Landes- und Buchregalgrenzen hinweg vereint?
Wenn wir jene Buchhandlungen ausklammern, die touristische Hotspots der entsprechenden Region sind (vor allem die Livraria Lello in Porto, mit Abstrichen aber auch Shakespeare & Company in Paris), dann war es ganz sicher die ruhige und einladende Atmosphäre, die den Buchhandlungen gemein war. Ich denke, vor allem in der heutigen Zeit ist dies eine ganz besondere und - vor allem für den Einzelhandel - seltene Eigenschaft: Ruhe. Buchhandlungen verströmen eben diese; sie entschleunigen und laden zum stundenlangen Stöbern und Wohlfühlen ein. Im Gegenzug beschenken sie jeden, der sich darauf einlässt, mit den schönsten Geschichten. Selbst auf meiner Reise konnte ich genau dieses Phänomen feststellen: 12 Länder und über 60 Buchhandlungen innerhalb von nur 28 Tagen klingt ziemlich stressig - tatsächlich habe ich aber nichts davon gemerkt.
Wie muss ich mir das ganze organisatorisch vorstellen: Wusste jede Buchhandlung vorher das Du kommst und hatte Zeit, mit Dir in den Austausch zu gehen oder bist Du einfach los?
Bis auf ganz wenige Ausnahmen gab es da keinerlei Absprachen. Das Ganze hatte vor allem praktische Gründe: Im Vorfeld meiner ersten Reise hatte ich zwei, drei Buchhandlungen angeschrieben, um meinen Besuch anzukündigen und zugleich um eine Fotoerlaubnis zu bitten. Dabei musste ich schnell feststellen, dass sich die Buchhandlungen zwar durchweg begeistert zeigten, was die Idee anbelangte - sie fragten aber stets nach fixen Terminen. Da ich auf der Reise jedoch möglichst flexibel ein wollte, konnte ich genau damit nicht dienen, so dass ich die Buchhandlungen dann schlichtweg mit meinem Besuch überraschte.
Dieses Buch ist nun quasi ein Reiseführer durch europäische Buchhandlungen - dürfen wir uns auch auf einen weltweiten Reiseführer freuen?
Wer weiß... Ich denke, dass wir uns da alle gemeinsam überraschen lassen dürfen. Material wäre in jedem Fall zu Genüge vorhanden, zumal ich während der Reise auch fleißig mitgeschrieben habe und über 10.000 Fotos sowie Videos machte.
Zum Schluss Hand aufs Herz: Welches europäisches Land hat die allerschönsten Buchhandlungen? Könntest Du dich da auf ein Land oder sogar eine Stadt festlegen?
Puh... das ist schwierig! In den Niederlanden gibt's wahnsinnig schöne, aufwendig umgestaltete Buchhandlungen, die definitiv einen Besuch lohnen. Neben den beiden Buchhandlungen, die in einer ehemaligen Kirche beheimatet sind und im Buch vorgestellt werden (Boekhandel Dominicanen in Maastricht und Waanders in de Broeren in Zwolle), berichtete mir erst vor kurzem ein Facebook-Fan, dass in Breda nun eine Buchhandlung in einem umgebauten Kino eröffnet hätte. Ganz zu schweigen von den vielen schönen Buchhandlungen in Amsterdam, wo sich freitags der Marktplatz an der Spui in eine Freiluftbuchhandlung verwandelt und, und, und... Das schönste "Gesamtpaket" bot allerdings Lissabon. Hier konnte ich mich weder an der lebendigen Stadt noch an der hiesigen Buchhandelsvielfalt sattsehen, zu der auch die die älteste Buchhandlung der Welt gehört: Livraria Bertrand im Stadtviertel Chiado.

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Das Buch zum Interview

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Meterhohe Regalwände, endlose Bücherreihen, der verführerische Geruch von Papier und Druckerschwärze - das Innere einer Buchhandlung hat etwas Magisches. Das weiß auch Buchhändler Torsten Woywod, der dem Zauber des gedruckten Wortes schon früh verfallen ist und seine Leidenschaft deshalb zum Beruf gemacht hat. Nun hat er sich kurzerhand auf den Weg gemacht, um die schönsten und außergewöhnlichsten Buchhandlungen in Europa ausfindig zu machen. In seiner beeindruckenden Reiseerzählung präsentiert Torsten Woywod seine Funde und eröffnet uns einen Blick hinter die Kulissen der Buchwelt. Ein Muss für alle Buchverrückte.