Bei Büchern über sexualisierte Gewalt befinden sich Autor*innen immer automatisch auf einem schmalen Grat: Wie realitätsnah soll es sein? Wie geht man sensibel mit dem Thema um? Wie verleiht man einer traumatisierten Psyche literarisch Glaubwürdigkeit? All das erfordert einiges an Fingerspitzengefühl - das der Autorin von "Sag mir, wer ich bin", Felicity Ward, leider fehlt.In einer merkwürdigen, oft zufällig erscheinenden Mischung aus personaler und auktorialer Erzählperspektive lässt sie neben ihrer Protagonistin Sally, der als Jugendlicher in Paris Schreckliches widerfahren ist, auch die Männer in ihrem Leben zu Wort kommen. Männer, die sie nicht ernst nehmen, die ihre Erfahrungen kleinreden, die sie für verrückt halten. Sally, die mittlerweile wieder in Montreal lebt, versteckt ihr Trauma, so gut sie kann, lebt aber über Jahrzehnte hinweg ein Leben in ständiger Angst, umgeben von Männern, die ihr ständig einreden, was sie zu tun habe - und deren Willen sie sich beugt.Eine solche Erzählung hat per se natürlich eine Existenzberechtigung, bildet sie doch durchaus die Realität vieler Betroffener ab. Ein Roman muss auch kein Lehrstück oder Selbsthilfewerk sein, er darf natürlich auch Schreckliches erzählen, ohne dafür eine Lösung anzubieten. Leider bietet "Sag mir, wer ich bin" jedoch auch literarisch keinen Mehrwert. Der Stil ist oft hölzern, und die so wichtigen Einblicke in eine geschundene Psyche sind häufig eher plump genannt, anstatt feinfühlig umschrieben, frei nach dem Motto: "Tell, don't show!". Dialoge sind häufig Wortprotokolle, die nichts der Phantasie überlassen. Es ist kaum möglich, zwischen den Zeilen zu lesen, denn in diesem Roman wird alles ausbuchstabiert. Raum für Ambivalenz bleibt da nicht."Sag mir, wer ich bin" hinterlässt mich als Leserin völlig ratlos: Was soll ich nur aus diesem Buch mitnehmen? Nach einer Mut machenden Botschaft sucht man genauso vergeblich wie nach einer irgendwie gearteten Charakterentwicklung. Und nicht einmal Betroffenheit will sich so richtig einstellen, denn der hölzerne Schreibstil verhindert es, der Protagonistin überhaupt emotional näherzukommen und mit ihr aufrichtig zu empathisieren. Leider ein durch und durch enttäuschendes Leseerlebnis, das einzig und allein durch seine im Grunde interessante Themenwahl ein wenig gerettet wird.