Pünktlich zum National Secondhand Wardrobe Day, dem Tag der gebrauchten Kleidung, erscheint Mirjam Wiesemanns neue Novelle "Nachtfasergespinste". Der in den USA trendende Feiertag erinnert daran, dass Mode und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen können. Das aktuelle Werk der versierten Novellistin greift diesen Gedanken auf clevere Weise auf und lässt die Kleidungsstücke zu Wort kommen. In der Nacht nach beunruhigenden Neuigkeiten, die ihre Existenz bedrohen, erzählen sie sich ihre Geschichten, ihre Schicksale, ihre Hoffnungen und Träume. Dabei könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Da ist z.B. das feine Kostüm, das einst der Haut Couture angehörte; oder dort der Hut eines ehemaligen mexikanischen Minenarbeiters. Schließlich schmieden alle gemeinsam einen Plan...
Es ist eine wahre Freude, den liebevoll dargestellten textilen Charakteren und ihren Geschichten zu lauschen, die die erste Hälfte der Erzählung auf poetisch schicksalshafte Art dominieren. Dabei bereitet es mir wieder ein großes Vergnügen, mich auf das gewohnt leichtgängige Spiel der Autorin mit den Worten und ihren Bedeutungen einzulassen. Im zweiten Teil nimmt die Rahmenhandlung dann ordentlich Fahrt auf und entwickelt sich auf humorvolle Weise zu einem anrührenden Schluss. Das mag mancher vielleicht rührselig finden. Doch ist in einem Thema, das sich mit Achtlosigkeit und Gedankenlosigkeit auseinandersetzt, genau dieses Quentchen Rührseligkeit notwendig, um eine möglichst breit gefächerte Sensibilität hervorzurufen. Und das ist dieser Geschichte wirklich zu wünschen.
BTW: Die Umsetzung der Geschichte in einen Animationsfilm kann ich mir lebhaft vorstellen. Aardman Animations? Pixar? Anyone?