Moderne Managementkonzepte zeigen überraschende Parallelen zu nationalsozialistischen Vorstellungen. In seinem neuen Buch argumentiert Stefan Kühl, dass diese Ähnlichkeiten nicht auf personalen Kontinuitäten vom NS-Staat zur Bundesrepublik beruhen. Gerade prominente Nationalsozialisten, die den Führungsdiskurs in der Nachkriegszeit prägten, mussten darauf achten, nicht mit der NS-Ideologie in Verbindung gebracht zu werden. Heutige Verfechter einer sinnstiftenden Zweckausrichtung, starken Gemeinschaft und transformationalen Führung haben keine Sympathien für die Idee einer rassisch homogenen Volksgemeinschaft. Aber sie ignorieren die Wurzeln zentraler Managementprinzipien und übersehen, wie stark sie Konzepte propagieren, die bereits von Nationalsozialisten vertreten wurden.
Besprechung vom 17.03.2025
Management damals und heute
Kontinuitäten und Brüche von der NS-Zeit bis jetzt
Gute Führung wird durch ein falsches Menschenbild verhindert. Menschen werden dann zerstört. Zwar wollten die Nationalsozialisten viele Menschen zerstören und haben das auf bestialische Art auch getan, aber Unternehmen mussten erfolgreich funktionieren - oft nach dem Führerprinzip. Finden sich Reste davon in "entnazifizierter Form" in der heutigen Managementliteratur? Das wird manchmal behauptet. Nein, belegt nun der Bielefelder Soziologe Stefan Kühl in seinem heute erscheinenden Buch "Führung und Gefolgschaft": "Aus dem charismatischen Führungsleitbild der NS-Zeit wurde ein durch die Formalstruktur abgesichertes Führungskonzept", erklärt Kühl. "Heutige Verfechter einer sinnstiftenden Zweckausrichtung, starken Gemeinschaft und transformationalen Führung haben keine Sympathien für die Idee einer rassisch homogenen Volksgemeinschaft." Das sind klare Worte. Allerdings seien die Wurzeln zentraler Managementprinzipien bereits von den Nationalsozialisten vertreten worden, erläutert Kühl. Das erinnert daran, dass manche, etwa der Autor und Dokumentarfilmer Stephan Lamby, die These vertreten, wir lebten nicht in einer postfaschistischen, sondern einer präfaschistischen Zeit (F.A.Z. vom 18. Februar 2025).
Der französische Historiker Johann Chapoutot streitet in seinem Werk "Gehorsam macht frei. Eine kurze Geschichte des Managements - von Hitler bis heute" (Berlin, 2021) für die Kontinuitätsthese: Die von Hitler entwickelte Vorstellung von Führung habe auch nach dem Ende des NS-Staates "fröhliche Urständ" gefeiert und wirke bis in die heutige Zeit nach. Hingewiesen wird auf SS-Oberführer Reinhard Höhn, der nach dem Krieg mit dem "Harzburger Modell" Tausende von Managementseminaren veranstaltete (F.A.Z. vom 13. Januar 2020). Höhns Kernaussage: Mitarbeiter sollten "selbständig denkend und handelnd" Entscheidungen treffen. Allerdings hört sich das gerade nicht nach Führerprinzip an, und deshalb wurde der Kontinuitätsthese selbst im französischen Sprachraum widersprochen, zuletzt von Thibault Le Texier oder Marcel Guenoun. Kühl schreibt nun: "Nach dem Krieg gab Höhn das Konzept einer in der Gemeinschaft verankerten Führung auf und gründete sein Führungsverständnis stattdessen auf die Absicherung von Vorgesetzten in der formalen Struktur der Organisation."
Dieser grundlegende Bruch sei vielen Historikern entgangen, meint Kühl. Ein Grund sei die Vernachlässigung von Erkenntnissen über Entstehung, Diffusion und Niedergang der Managementmoden. Für Kühl kann man die Geschichte von Managementkonzepten als einen Wechsel nicht nur zwischen Abbau und Reduzierung von Hierarchien oder zwischen der Ausdifferenzierung oder Auflösung von Abteilungsgrenzen, sondern besonders zwischen Formalität und Informalität beschreiben. "Anfang des 20. Jahrhunderts war der Taylorismus der erste bedeutende Versuch, Effizienzvorteile durch eine weitgehende Formalisierung der Organisationsrollen mit Wenn-dann-Regeln, sogenannten Konditionalprogrammen, zu erreichen. Die nach dem Zweiten Weltkrieg prominenten Modelle der Führung im Mitarbeiterverhältnis und der Führung über Zielvereinbarungen lösten sich zwar von der Vorstellung, dass Organisationsmitglieder durch möglichst genaue Konditionalprogramme geführt werden sollten. Sie setzten aber weiterhin auf die Möglichkeiten der Formalisierung; in diesem Fall durch die Festlegung genauer Zweckprogramme für alle Rollen in einer Organisation."
Die Idee eines "Management by Objectives" des Mitbegründers der modernen Managementlehre Peter Drucker und Höhns Konzept einer "Führung im Mitarbeiterverhältnis" basierten beide darauf, dass die Mitarbeiter selbst über die Mittel zur Erreichung der vorgegebenen Ziele entscheiden können. Höhn setzte dabei aber viel stärker als Drucker auf eine Formalisierung organisationaler Erwartungen über präzise Stellenbeschreibungen. Drucker, der aus einer jüdischstämmigen Familie kam, konnte als Kritiker des Nationalsozialismus in der Nachkriegszeit viel unbefangener als Höhn an seinen Vorstellungen von Gemeinschaft festhalten, erklärt Kühl.
Anders als das immer noch populäre Führungsmodell Druckers erlebte Höhns Harzburger Modell in den 1970er-Jahren "einen fast beispiellosen Bedeutungsverlust". Die Zahl der Seminarteilnehmer brach ein, die Harzburger Akademie meldete Insolvenz an, und kaum eine Führungskraft bezieht sich heutzutage noch auf die Führung im Mitarbeiterverhältnis. "Verantwortlich war, dass Höhn sein Modell nicht an neue Trends im Management anpassen konnte." Wichtiger wurde nämlich die Wiederbelebung der Idee von Gemeinschaft, "die erneut auf Orientierung an einem übergeordneten, sinnstiftenden Zweck und das Comeback der charismatischen Führung im Managementdiskurs" setzte. Das alles aber habe, so Kühl, "nichts mit einer Sympathie für die nationalsozialistische Ideologie zu tun". Höhn konnte die neuen Konzepte indes nicht vertreten, man hätte es ihm als NS-Wiederentdeckung ausgelegt.
Kühl beseitigt mit seiner hervorragenden und gut lesbaren Schrift einige Fehlvorstellungen von Kontinuität, die es so nie gab. Möglicherweise kehren sie indes andernorts gerade zurück. JOCHEN ZENTHÖFER
Stefan Kühl: Führung und Gefolgschaft. Management im Nationalsozialismus und in der Demokratie, Suhrkamp, Berlin 2025, 265 Seiten
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