Eine katastrophale Liebesgeschichte. Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2021.
Er war mal Musiker. Jetzt ist er Mitte vierzig und im Großen und Ganzen nicht unzufrieden. Seine Freundin hat ein geregeltes Einkommen, und das Ein-Mann-Tonstudio wirft auch ein bisschen was ab. Die Träume von der künstlerischen Karriere sind längst begraben. Sie schmerzen nicht mehr.
Da lernt er Vanessa kennen, Schauspielerin, jung, strahlend schön. Zuerst versteht er gar nicht, warum sie sich für ihn interessiert. Er verliebt sich in sie. Er verlässt seine Freundin. Ist er jetzt mit Vanessa zusammen?
Es wird immer größer: das Glück und das Chaos. Sie ist beides für ihn. Und er kommt nicht los von dieser Frau und ihren Abgründen. Liegt das am Ende gar nicht an Vanessa, sondern an ihm selbst?
Besprechung vom 24.07.2021
Die verlorene Melodie
Heinz Strunk hat einen trostlosen Liebesroman geschrieben, in dem nur noch die Ironie des Wahnsinns hilft: "Es ist immer so schön mit dir".
Heinz Strunk, war das nicht der große Einfühler, Lakoniker, der mit dem Wirtshausmörder? Der die in sich Eingesperrten mit ihren menschenverzehrenden Fantasien naturgetreu und maximal trostlos beschreiben kann?
Dieser Strunk also hat einen Liebesroman geschrieben. Natürlich darf auch ein Liebesroman ganz und gar trostlos sein. Nichts gegen eine unerfüllte, ausweglose, zersetzende Romanze, die einen schaudern lässt angesichts allem, was einem noch erspart geblieben ist. "Toxisch" sollte auf dem Umschlag stehen oder im Verlagsprogramm, für die Abgrenzung von annehmbaren Abhängigkeiten, Triggerwarnung vor Blitzen, die einen besser nie treffen. Erkenntnisinteresse: Was kettet Menschen aneinander, wenn es doch keine Liebe ist? Irgendetwas lässt sich eigentlich immer mitnehmen für daheim, irgendwas wiedererkennen für den eigenen Gebrauch. Sofern sich eine Erkenntnis anbahnt.
Ein Mann also in mittleren Jahren, Toningenieur in der Großstadt, den seine Beziehung langweilt. Kein Sex mehr, zu viel Gemütlichkeit. Die Geräusche der Freundin im Schlaf sind ihm lästig geworden. Wenn sie läuft, sieht es nicht mehr frisch aus, sie schlurft jetzt eher. Und dann diese fade Selbstgenügsamkeit. Sie ist heimlich alt geworden neben ihm: "Vom Teenie zur Muhme".
Solche Sätze, die ihn älter wirken lassen, als er ist, denkt der Mann häufig. Weil er sich selbst und sein Leben nicht leiden kann, schaut er auf andere mit Ekel. Sein eigener, sich gerade erst ankündigender Verfall macht ihm Angst. Wenn er in einem Konzert ein paar Stunden steht, schmerzt der Rücken, in der Theaterprobe der Hintern. Er ist "groggy". Noch während die Beziehung vor sich hin stirbt, lernt er auf einer Filmpremiere eine Neue kennen. Vanessa, Schauspielerin: "ein echter Hingucker". Obwohl er sich ziemlich dumm anstellt, bekommt er ihre Nummer.
Zunächst ist unklar, ob die junge Frau sein Verlangen bloß ausnutzt. Sie lässt ihn warten, sitzen, zahlen. Dann die Überraschung: Vor Jahren war er einmal Musiker in einer Band, sie hat als Kind mit ihrem Vater seine Konzerte gesehen und erinnert sich noch heute. Von seiner Pop-Vergangenheit ist nichts geblieben, nur eine leichte Verbitterung. Kein Song, kein Poster, keine dahingepfiffene Melodie mehr in seinem Alltag, kein Rest Bühnencharisma. Die Musikerkarriere dient hier nur einem einzigen Zweck: Eines Tages soll sie Vanessas Anziehung für den Ambitionslosen begründen.
Er leidet schwer in der neuen Konstellation. Jeder Satz klingt dumm, jeder Schritt ist ein Fehltritt. Warum es ihm nicht gelingt, in ihrer Nähe zu sich zu finden, ist schwer zu ergründen, denn Vanessa ist zwar kühl und desinteressiert, aber in ihrer Geisterhaftigkeit nicht überlegen. Früh fällt ihm auf, wie sie beim Erzählen den Faden verliert, sich widerspricht, Langeweile verbreitet. Wie sie ihre Wirkung ausnutzt: schändlich. Statt Filmrollen werden ihr Messejobs angeboten. Dem verzweifelt Liebenden wird also die Rolle des Tollpatsches mit dem Hang zur Phrase zuteil, in der er ungestört seiner Betrachtung des fremden Frauenwesens nachgehen kann. Zu seiner Verteidigung lässt sich auch anführen, dass er nicht einmal seinen Freunden richtig zuhört. Warum er so ist: nach Strunk'scher Tradition eigentlich unerheblich. Und doch ist da die Erinnerung an eine unglückliche Jugendliebe und die Andeutung eines Versuchs, das Schicksal zu überlisten: "Die Schönen tun sich zusammen. Die Dicken tun sich zusammen. Die Krummen tun sich mit den Schiefen zusammen. Und eine Jüngere ist noch nie wegen einer Älteren sitzengelassen worden." Er hofft, die verwundete Prinzessin doch noch in Besitz zu nehmen, sie sich zu verdienen. Vanessa hat nämlich auch Probleme, sie wurde als Jugendliche missbraucht. Wie das eine mit dem anderen zusammenhängt, braucht der Tollpatsch nicht zu verstehen. Fünfzig Seiten weiter, und wieder laufen alle Fäden im Triebhaften zusammen. Ihr Körper, ihre magere Gestalt, ihre Geheimnisse, sein Verlangen. Die Spannung auf die große Wendung wächst.
Die Umgebung in dieser toxischen Welt ist entweder klirrend kalt oder unbeschreiblich heiß, Strunks Sprache wie so oft schrill und selbst voller dünstender Phrasen, der Mensch eine Zumutung. Meistens stinkt jemand nach Schweiß, Nikotin oder ungewaschenen Füßen, jemand bestellt zu viele Nachos, Männer, die Torsten oder Holger heißen, verlorene Kreaturen, trinken den sehnenden Mann unter den Tisch. Er, der Toningenieur, sieht überall nur Schattenrisse. In der nächsten Bar: "Menschen mit Gesichtern wie leere Teller". Beim Trennungsgespräch: "Allgemeinplätze." "Nullsätze." Man wünscht sich, endlich mehr zu sehen und zu spüren als er.
Es funktioniert immer dann, wenn sich der emotionale Ausnahmezustand mit der grenzenlosen Belanglosigkeit vereint, wenn jedes Maß verloren geht und das Tierische übernimmt und die Ironie des Wahnsinns hervortritt. Wenn also einer frisst und tropft und geiert und nur noch Trieb ist, wird es wahrhaftig, dann treten die Kerkermauern zutage, die jede von Strunks Figuren um sich errichtet hat, die Verzweiflung, der Wahn. Jeder Mann, der sich Vanessa nähert, und sei er noch so abstoßend, ist ein Tier, das sie bespringen will, jede ihrer Nachrichten nach Stunden der Stille ein Segen für den darauf Wartenden: "Bei mir läuft alles so weit. Wie sieht es am Wochenende bei dir aus?"
Und gerade dann, als sich die Chance ergibt auf eine Wendung, eine echte Überraschung, etwas an dieser grob gezeichneten Frau, das wirklich unerwartet wäre, rafft Strunk die Zeit, spult vor, bis der traurige Tollpatsch sich besäuft, statt ihre Familie zu unterhalten. So hat er sich doch noch ihrem magischen Einfluss entzogen. Und Vanessa? Sagt am Ende des Tages über ihre Schwester: "Du magst sie ja nervig finden, aber sie ist kein böser Mensch." Beschwert sich, dass er einer anderen nachgeschaut hat. Und weint.
Aus einer dank Erlebter Rede noch als radikale Innenperspektive lesbaren Projektion eines unergründlich frustrierten Mittelstandmannes ist das Mittelmaß einer Beziehung geworden. Seine Begeisterung, unter der sie erstrahlt ist, ist verflogen, ihr Glanz scheint erloschen. Diese Erkenntnis wäre die traurigste des ganzen Romans, hätte man Vanessa bis dahin wenigstens kennengelernt. Es gibt viele Arten von Gier. Strunk beherrscht die Darstellung der abgründigsten von ihnen. Eine trostlose Midlife-Crisis gehört nicht dazu.
ELENA WITZECK.
Heinz Strunk: "Es ist immer so schön mit dir". Roman.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2021. 288 S., geb.
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