»Warum gibt es keine Rosen mehr?« Anstatt vor Sehnsucht nach der schon lange verwelkten Blüte der Philosophie zu vergehen, nimmt der elegante Lord Shaftesbury (1671-1713) die Sache selbst in die Hand: »Propfe dir andere Meinungen auf, wechsle deinen Trieb aus, veredle dich.« Er legt die gepuderte Allongeperücke ab, eine blaue Toga an und stellt sich in der Hoffnung auf eine Renaissance in das Frühlicht der Aufklärung. So manch einem seiner Zeitgenossen ist der träumende Lord ein Dorn im Auge. Was ist es, wovon die Rose träumt?Wenn Shaftesburys Philosophie eine Rose ist, schwelgten im achtzehnten Jahrhundert die einen in ihrem Duft, während sich die anderen an ihr blutig stachen. Man nannte ihn einen »vernünftigen Moralisten« und einen »Blitz aus der Hölle«, einen »Freund der Antiken« und einen »verrückten Modernen«. In jedem dieser Urteile liegt Wahrheit, denn Shaftesbury spricht grundsätzlich in vielen Stimmen. Nie steht es ihm im Sinn, uns zu erklären, was er denkt. Er will es uns zeigen. Es ist an der Zeit, die Philosophie Lord Shaftesburys in ihrer Gesamtheit zu betrachten, anstatt, wie es heute oft geschieht, den Blick auf den »moral Sense« zu beschränken. Erst dann werden wir dem Reichtum seiner Philosophie begegnen und sehen: Diese Renaissance-Rose überschreitet scheinbar mühelos die Grenzen der Nationen, Kulturen, Fachbereiche und Zeiten.