Im Roman erzählt der Autor über weite Strecken, wie der Protagonist Édouard (das Werk ist weitgehend autobiographisch) hinter der Tür des Wohnzimmers seiner Schwester Clara verborgen steht und sie belauscht, wie sie sich mit ihrem Mann über das, was Édouard geschehen ist, unterhält. Vom Klappentext weiß man, dass eine Zufallsbekanntschaft mit einem jungen Mann, der ihn angesprochen hat, zwar zunächst zu einer erotischen Nacht führte, doch dann schlägt die Situation um und der Mann, der von sich sagt, dass er Reda heißt, bedroht ihn schließlich mit einer Waffe und tut ihm Gewalt an, auch sexuelle Gewalt. Das Buch fängt an mit dem verzweifelten Versuch Édouards, alles zu putzen, zu reinigen oder zu entsorgen, das mit Reda in Berührung gekommen ist. Cut. Jetzt steht Édouard also hinter der Tür und es folgt über die gesamte Romanlänge eine Mischung aus- Claras Erzählungen (wörtliche Rede)- diese sind in Kursivschrift durchbrochen von gedanklichen Kommentaren Édouards, Richtigstellungen, Ergänzungen- und seinen eigenen Erinnerungen an die Nacht, auch solchen, von denen er niemandem erzählt hat Ich habe mit ihm mitgelitten, ich war froh über seine Freunde, die immer für ihn da sind, über die halbwegs emphatischen Polizeibeamten - die Édouards Lage zwar ernst nehmen, aber doch auch Rassismen und Bürokratie an den Tag legen. Ich habe mich über Clara geärgert, wie sie manchmal über ihren Bruder urteilt, und dann wieder habe ich sie gut verstanden, weil sie pragmatisch und analytisch sagt, welche Marotten und Probleme er hat, wo er sich selbst im Weg steht ... Édouard beschreibt seitenlang, wie er sich Reda und dessen Vater in bestimmten Situationen vorstellt, sie vermischen sich mit Geschichten über Familienmitglieder oder Berichten, die er mal gesehen oder gelesen hat. Es wirkt verrückt und ein bisschen unheimlich ... man sieht ihm regelrecht beim Verrücktwerden zu. Clara zeigt sich mal distanziert zu "diesen Leuten in Paris", mal scheint sie doch auch viel Ähnlichkeit mit ihrem Bruder zu haben. Auch sie kann sich in Nebensächlichkeiten verirren, kommt "von Hölzken auf Stöcksken" und nimmt im Grunde keine Rücksicht auf ihren Mann, der ihr vermutlich nicht mehr folgen kann und - na ja, eigentlich müsste er die Geschichte auch schon kennen, denn sie liegt eine Jahr zurück. Dieses Erzählen-Müssen verbindet sie vielleicht mit ihrem Bruder, dem es mit seinem Trauma nämlich monatelang so ging. Ein paar Mal musste ich bei aller Tristesse und Grausamkeit über Bemerkungen lachen, manchmal erkannte ich mich selbst in Édouards Verschrobenheit wieder, und als es um den Druck ging, dem er sich ausgesetzt sah, seine Gedanken dazu (er will keine Anzeige erstatten) und dann doch die stille Duldsamkeit und fast schon Gehorsamkeit seinen Freunden gegenüber, da hätte ich mit ihm weinen können. Seine Sicht auf sich selbst, sein Wechsel von "Ich" zu "Du", wenn er über sich selbst spricht, wird noch intensiver in dem Moment, in dem er zur dritten Person wechselt. Beklemmend, diese Distanzierung. Eins der besten Bücher, die ich je gelesen habe. Ich will unbedingt auch sein Debüt lesen. Ein paar gestalterische Finessen hat das Buch auch zu bieten, die ich hier mit einer **Spoilerwarnung** versehe:An einem Punkt im Buch gibt es ein Zwischenspiel, an dem er einen Ausschnitt aus einem anderen Buch in Beziehung zu sich selbst setzt. Er hat besagtes Buch, schreibt er, während der Arbeit an diesem Buch gelesen und es hat ihm im Nachhinein viel über sich selbst erklärt. Auch das letzte Zitat erklärt das sehr abrupte, sang- und klanglose Ende, das erst durch das Zitat eine besondere Bedeutung erhält, wie ich finde. Es gibt mehrere Rezensionen, die von Hoffnungslosigkeit sprechen, das empfinde ich nicht so.