Hellwach zwischen Realität und Traum
Murakamis nur knapp 80 Seiten starkes Buch würde ich mit meinem Laienwissen über Literatur irgendwie am ehesten mit einer Novelle vergleichen. Die unerhörte Begebenheit: Die Protagonistin kann plötzlich nicht mehr schlafen. Als Ich-Erzählerin lässt sie uns an ihren Gedanken teilhaben und beschreibt den Zustand der ungewollten Schlaflosigkeit, die aber keineswegs mit Erschöpfung einhergeht. Die Mutter eines Grundschulkindes und Ehefrau eines Zahnarztes kreist ihr Alltag üblicherweise um die Pflichten einer Mutter und Hausfrau und erschöpft sich dabei in immer den gleichen Routinen. Dabei ist sie eine begabte Studentin im Bereich der englischen Literaturwissenschaften gewesen. Doch nun, mit nur 30 Jahren, sind die einzigen Gedanken, in denen sie sich mit sich selbst beschäftigt, der Aufgabe geschuldet, wie sie ihre gute Figur behalten kann. Die Schlaflosigkeit hat den positiven Effekt, dass sich nun ihr Geist und der die Routinen ausführende Körper voneinander trennen und ihr wieder die Muse geschenkt ist, die Dinge zu tun, die ihr früher viel bedeutet haben. So liest sie gleich mehrfach hintereinender "Anna Karenina". Alles in allem erinnerte es mich an den Boreout eines unterforderten Geistes.Die surreale Seite wird v.a. durch die zahlreichen Illustrationen betont, die durch die Farbgebung, aber auch durch die spezielle Komposition ins Auge stechen: Nicht selten sind technisch-naturwissenschaftliche Elemente mit greifbarer Natur (in Form von Flora und Fauna) mit Ausschnitten des Körpers der Protagonistin verwoben. Auch die Farbgebung hat diesen speziellen "Traum-Touch", v.a. durch die Verwendung der Farbe Silber (was mich immer an Mondlicht erinnert) in Verbindung mit dunklen Tönen. Insgesamt ist das Buch sehr hochwertig, nicht nur inhaltlich, sondern auch von der Optik und Haptik.Wie die Illustrationen pendeln auch die beschriebenen Szenen zwischen Realität und Traumwelt. Murakami hat eine spezielle, kunstvolle Art, seine Figuren auf die Reise zu schicken. Nicht nur aufgrund seines geringen Umfangs ist dieses Buch für mich eine gute Empfehlung für alle, die mit dem Autoren langsam warm werden wollen. Nur die letzte Szene fand ich ein wenig verwirrend und als Ende war sie für mich zutiefst unbefriedigend, wenngleich der Ausgang im Kern natürlich irgendwie auch konsequent ist.