San Francisco im Spätherbst 1933. Max erhält einen an seine Schwester Griselle adressierten Brief mit Anschrift in Berlin ungeöffnet mit dem Stempel "Adressat unbekannt" zurück. Max und Martin, beide um die 40, kennen sich vom 1. Weltkrieg. 14 Jahre sind seither vergangen und in den USA haben sie zusammen die Galerie Schulse - Eisenstein gegründet. Doch Martin möchte wieder in seine deutsche Heimat zurückkehren und tut dies 1932. Er richtet sich als amerikanischer Millionär in München in einem repräsentativen Schloss ein, während Max in San Francisco, Kalifornien zurückbleibt und die mittlerweile gut eingeführte Galerie leitet. Du findest ein demokratisches Deutschland vor, ein Land mit einer tief verwurzelten Kultur, in dem der Geist einer wunderbaren politischen Freiheit aufzublühen beginnt.Der Briefwechsel zwischen den beiden Freunden und Geschäftspartner beginnt am 12. November 1932.1933 kommt Hitler an die Macht und Max betrachtet den Mann aus der Ferne. Er mag ihn nicht, und Martin aus Deutschland beschreibt ihm seine Innenansicht zu den Ereignissen in Deutschland.Der Mann ist wie ein elektrischer Schock, so stark, wie nur ein begnadeter Redner oder ein Fanatiker sein kann.Alte Bekannte bedrängen Martin, aufgrund seiner finanziellen Möglichkeiten und seiner gesellschaftlichen Stellungs in den öffentlichen Dienst einzutreten. Martin kommt dem Drängen recht schnell nach und tritt eine Stille in der Deutschen Völkischen Bank an. Noch hegt er Zweifel, ob die Entwicklung in seinem Land gut ist und vertraut sich seinem Freund in Übersee an.Max in San Francisco hingegen beunruhigen die Presseberichte über Deutschland. Er ist Jude und seine Schwester verweilt zurzeit in Wien, wo sie ein Bühnenengagement als Schauspielerin hat.Wir vergessen dich nicht, Maxel.Dann überschlagen sich die Ereignisse. Meine persönlichen Leseeindrücke"Adressat unbekannt" ist Geschichtsunterricht im Schnelldurchlauf! In etwa 50 Seiten durchlebt man den Aufstieg eines armen Deutschlands, das mit Hitler einen Führer erkoren hat, der Hoffnung gibt und ein Volk aus seiner Verzweiflung zieht. Die Deutschen folgen der Leitidee ihres Führers willenlos und sehen ihre Zukunft wie eine überwältigende Welle, die auf sie zurollt. Was dann mit dem nach Deutschland zurückgekehrten amerikanischen Millionär genau geschieht, kann ich nur erahnen. Auf jeden Fall offenbaren seine Aussagen einen erschreckenden, unerklärlich entbrannten Judenhass und zeugen zeitgleich von einem unerklärlichen Enthusiasmus für Hitlers Handeln, der den Deutschen die Idee eines großen Volkes einpfercht und sie von 14 Jahre Schmach befreit. Das dafür Opfer notwendig sind, wir gerne in Kauf genommen.Der Jude ist überall und zu allen Zeiten der Sündenbock.Die Entwicklung ist geradezu beängstigend. Ein Mensch macht eine 180° Wende durch, das lese ich in wenigen Zeilen. Wie kann sich eines Freundes Herz nur so wandeln? Diese Frage beschäftigt mich sehr, sie erschüttert mich bis ins Mark. Wie wird man von einem liberal denkenden Menschen, der das Falsche vom Richtigen unterscheiden kann, zu einen Mitläufer, einen Patrioten mit Scheuklappen vor den Augen? Ab wann verklärt eine klare Geisteshaltung und wie lange kann man populistischen Strömungen widerstehen? Mir wird angst und bange.Das Büchlein mit den wenigen Seiten fülle ich mit meinen Gedanken, es geht ja auch gar nicht anders, und reime und fantasiere mir zusammen, was wohl zwischen den einzelnen Korrespondenzen vorgefallen ist, welche Überlegungen und Umstände den Schreiben veranlasst haben mag, die Zeilen zu verfassen. Der erste Höhepunkt ist erreicht, als eine Todesnachricht überbracht wird. Dies ist schon schlimm genug, kaum unvorstellbar und führt zu einer unvorhersehbar, kaltblütig und berechnenden Reaktion. Das Blatt wendet sich. Die Rollen vertauschen sich, der Überflieger wird zum Verlierer, und der neue Gewinner für immer gezeichnet bleiben.Das Ende ein gewaltiger Schock, und es bleibt die Frage im Raum, wie es möglich ist, dass zwei Menschen, die doch freundschaftlich und geschäftlich eng verbunden waren, sich so zugrunde richten konnten.Die zeitlose Botschaft von "Adressat unbekannt" wendet sich an unser moralisches Empfinden, und nicht zuletzt deshalb hat dieser Band einen Platz in jedem Bücherregal verdient. Lois Rosenthal - Herausgeberin der Zeitschrift StoryIch hatte das Buch ausgeliehen, jetzt steht es in meiner Bibliothek als Mahnmal für meine klare Geisteshaltung.Fazit"Adressat unbekannt" ist ein Büchlein, das mit ungeheurer Wucht den Aufstieg Hitlers in Deutschland erklärt und anhand der Freunde Martin Schulse und Max Eisenstein erzählt, welchen Einfluss politische Geschehnisse auf liberal denkenden Menschen haben kann. Der eine mutiert zum Patrioten, der andere zum Rächer, dies alles in einem rasanten Tempo von 18 Briefen und 1 Telegramm in knapp eineinhalb Jahren.