Sebastian Fitzek hat sich mitNoahan ein außergewöhnliches Projekt gewagt. Statt eines klassischen Psychothrillers präsentiert er hier eine dystopische Vision mit gesellschaftskritischem Anspruch. Die Idee ist durchaus faszinierend: Ein Mann erwacht ohne Erinnerung, mitten in einer Welt, die von Krankheit, Armut und Unsicherheit geprägt ist. Seine Suche nach Identität führt ihn in eine globale Verschwörung - und schließlich zu unbequemen Wahrheiten über unsere Gesellschaft.Der Roman ist in seiner Konzeption zweifellos ambitioniert. Fitzek thematisiert Überbevölkerung, Pandemien, soziale Ungleichheit und mediale Manipulation - aktuelle Themen, die viel Raum für Reflexion bieten. Doch genau an dieser Stelle zeigt sich die zentrale Schwäche des Buches: Die vielen Ideen und Botschaften geraten stellenweise zu überladen und wirken nicht immer gut in die Handlung integriert. Statt organisch in die Geschichte eingeflochten zu sein, stehen manche Erklärungen und Monologe eher wie Einschübe da - und unterbrechen den Lesefluss.Die Spannung, für die Fitzek bekannt ist, blitzt immer wieder auf, wird aber durch die Dichte an Themen und Wendungen gelegentlich abgeschwächt. Man merkt dem Text an, dass er viel will - manchmal vielleicht zu viel.Ein Aspekt, der mir besonders auffällt, ist die Darstellung weiblicher Figuren. Zwar gibt es mehrere Frauen im Buch, die für die Handlung wichtig sind, doch sie bleiben meist im Hintergrund oder erfüllen eher klassische Rollen: unterstützend, emotional, fürsorglich. Eine echte, eigenständige Entwicklung oder aktive Handlungsmacht wird ihnen selten zugestanden.Aus einer feministischen Perspektive wäre hier deutlich mehr möglich gewesen. Gerade bei einem Roman, der den Anspruch hat, gesellschaftliche Probleme kritisch zu beleuchten, wäre eine differenziertere Darstellung von Geschlechterrollen ein wertvoller Beitrag gewesen. So wirkt es ein wenig, als sei diese Ebene der Gesellschaftskritik übersehen worden.Noah ist ein spannendes Experiment, das Fitzeks Repertoire mutig erweitert. Der Versuch, Thriller-Elemente mit gesellschaftskritischem Tiefgang zu verbinden, verdient Anerkennung - auch wenn die Umsetzung nicht in allen Bereichen überzeugt. Inhaltlich überfrachtet und mit einer wenig zeitgemäßen Figurenzeichnung, bleibt das Buch hinter seinen Möglichkeiten zurück. Leser*innen, die Fitzeks übliche Psychospannung erwarten, könnten hier etwas fremdeln - wer sich auf das Experiment einlässt, findet aber durchaus interessante Denkansätze und einen Autor, der sich weiterentwickeln will.