Inhalt:
Es geschieht an einem ganz normalen Tag, als Cece sich plötzlich übergeben muss und von ihren Eltern ins Krankenhaus gebracht wird. Die Diagnose lautet: Hirnhautentzündung.
Innerhalb weniger Tage ist nichts mehr so wie zuvor. Ihre Freunde dürfen sie im Krankenhaus nicht besuchen, da diese Keime übertragen könnten. Beim Fernsehen ist plötzlich der Ton weg. Der Arzt macht einige Tests. Es gibt Spritzen und ihr Kopf wird abgemessen.
Doch nicht alles ist schlecht. Cece bekommt eine Menge Geschenke von Menschen, die an sie denken.
Wieder zu Hause sind Ceces Geschwister ganz besonders nett. Sie überlegen sich kleine Überraschungen für sie. Ihre große Schwester liest ihr sogar etwas vor. Doch etwas ist sonderbar. Denn Cece hört die Rufe ihrer Mutter nicht, sie merkt es auch nicht, wenn ihre Geschwister hinter ihrem Rücken das Zimmer verlassen. Und dann steht der nächste Arztbesuch an.
Cece hat Angst, dass sie wieder ins Krankenhaus muss. Doch dieses Mal geht es zum Audiologen. Dieser unternimmt weitere Tests. Cece bekommt ein Hörgerät. Sie ist verunsichert. Die Kabel, die aus ihren Ohren hängen und der kleine Kasten entstellen sie sicherlich gar vollends. Ein Potpourri von Spott, Missbilligung und Hänseleien wird über sie ergehen.
Doch bald schon muss Cece feststellen, dass ihre Freunde ganz unterschiedlich reagieren. Die meisten sind neugierig, viele sprechen sie sogar gar nicht auf die Veränderung an.
Cece besucht eine Schule, auf der alle anderen Kinder auch ein Hörgerät tragen. Sie lernt, worauf sie beim Lippen ablesen achten muss. Sie erfährt auch, wie andere Menschen sich verhalten müssen, damit sie besser versteht, was diese ihr mitteilen wollen.
Doch die einzige Konstante im Leben ist die Veränderung. Die Familie zieht in einer kleinere Stadt, in ein größeres Haus. Cece kommt in eine neue Schule. Damit sie dort alles gut verstehen kann, erhält sie ein größeres Hörgerät und ein Mikrofon, das sie vor jeder Stunde an den neuen Lehrer weitergeben muss. Sich dieser erhöhten Aufmerksamkeit auszusetzen, ist eine große Herausforderung.
Über die Zeit hinweg findet Cece neue Freunde. Manche sind nett, andere weniger. Doch ein Mädchen aus der Nachbarschaft sticht für Cece besonders hervor. Martha Clayton ist immer verständnisvoll. Sie hat den gleichen Humor wie Cece und liebt die Serie "Unsere kleine Farm" genauso sehr wie sie. Bei ihren Eltern darf man Fastfood vorm Fernseher essen. Cece muss Martha nicht erst erklären, warum das Licht noch anbleiben muss, wenn sie sich abends vor dem Schlafen im Bett noch unterhalten wollen. Und das Beste ist, dass Martha ganz normal mit ihr spricht. Sie redet nicht übermäßig laut und bewegt die Lippen besonders auffällig. Martha wird zu Ceces bester Freundin. Doch dann geschieht ein Unfall und Martha distanziert sich von Cece ...
Meinung:
Bereits im Vorwort von "El Taubinio" erwähnt die Autorin, dass es sich hierbei um eine autobiographische Geschichte handelt. Cece Bell gibt dem Leser hier bereits einige wertvolle Informationen an die Hand. So berichtet sie davon, dass in den USA andere Gesten für die Gebärdensprache benutzt werden als in Deutschland. Sie erläutert, warum in dem Buch nicht die Rede vom "Lippen ablesen", sondern vom "Lippen absehen" ist. Und gibt noch ein paar Informationen zur Wahl des deutschen Buchtitels preis. Diese Informationen empfand ich als weiterführend und hilfreich für Leser wie mich, die sich mit dem Thema Gehörverlust (noch nicht) so gut auskennen.
Der Zeichenstil hält sich bewusst von plattem Realismus fern. Die Figuren werden hier nämlich nicht als Personen, sondern als Hasen dargestellt. Leider wird im Buch nichts näheres dazu berichtet. Eine Recherche im Internet hat ergeben, dass die Autorin sich sehr bewusst für diese Darstellung entschieden hat. Der optische Fokus soll durch die naturgemäß großen Ohren des Hasen automatisch gelenkt werden und Kindern den Zugang zur Geschichte zusätzlich erleichtern.
Die Protagonistin des Buches, Cece Bell, war mir von der ersten Seite an sofort sympathisch. Cece ist ein lebensfrohes Mädchen mit vielen Interessen. Sie wächst in einer Familie auf, in der jeder für den anderen da ist. Auch, wenn es immer wieder zu Tiefpunkten im Leben kommt, so sieht Cece doch auch immer wieder die kleinen, schönen Dinge, die ihr widerfahren.
Der Verlust des Gehörs nebst Umzug in eine neue Stadt stellen Cece vor eine ganz besondere Herausforderung. Mit ihrem Hörgerät sieht sie anders aus, bei Treffen mit anderen Kindern versteht sie oft nur wenig. Denn das normale Hörgerät hilft zwar lauter zu hören. Doch lauteres Hören trägt nicht dazu bei, dass die Worte richtig ankommen. Cece muss zusätzlich auf die Lippenbewegungen, Gesten und Mimiken ihrer Mitmenschen achten. Sie muss wie ein Detektiv kombinieren, wie die Worte zu dem, was sie sieht, passen, um die Sätze zu verstehen. Ihr hilft es nicht, wenn jemand mit dem Rücken zu ihr spricht, wenn ihr Gegenüber einen Bart trägt oder übertriebene Lippenbewegungen macht. Doch all das möchte man natürlich auch nicht immer erklären müssen.
Mit jeder dieser Herausforderungen, auch wenn diese nicht immer einfach sind, geht Cece unglaublich gut um. Sie versucht zu verstehen, auch, wenn es nicht immer leicht ist. Sie freut sich über die bunte Tasche, die mit dem neuen Hörgerät daherkommt, auch wenn das Gerät sie vor Probleme im Alltag stellt. Beim Arzt bekommt sie für die lange Wartezeit einen Lolli als Belohnung. Das war doch die Mühe wert. Die Kinder unterhalten sich nachts noch im Dunkeln und Cece versteht nichts? Naja, dann kann sie auch das Gerät ausmachen und hört somit das Schnarchen der anderen nicht.
Cece versteht es auch, der Realität durch ihre Fantasie zu entfliehen. Sie sieht sich wie einen Superhelden. Denn Superhelden sind zwar auch Außenseiter, weil sie anders sind, aber sie haben Fähigkeiten, die sie zu etwas ganz Besonderem machen. So kann Cece beispielsweise durch das Mikrofon hören, wenn ihre Lehrerin sich außerhalb des Klassenzimmers mit Kollegen austauscht. Cece kriegt sogar mit, wenn sich ihre Lehrerin auf die Toilette begibt und muss dann jedes Mal ein wenig lachen.
Neben dem Thema Gehörverlust greift die Autorin aber auch andere Themen auf. So erzählt sie von unterschiedlichen Arten von Freundschaften. Eine Freundin z.B. will immer nur bestimmen. Sie hat einen ganz gruseligen Humor und findet, dass sie wesentlich besser aussieht als Cece. Dann gibt es noch eine Freundin, die zwar deutlich netter ist, aber ständig so übertrieben laut spricht und komische Lippenbewegungen macht und letztlich noch das Mädchen von nebenan, das Cece behandelt wie alle anderen auch. Besonders gefallen hat mir die Art, wie Cece mit diesen unterschiedlichen Charakteren umgeht. Sie reagiert nie gemein oder bösartig. Sie distanziert sich eher beiläufig ohne andere Menschen mit ihrem Verhalten zu verletzen und sucht sich instinktiv diejenigen aus, die ihr guttun.
Auch die erste Liebe wird in diesem Buch thematisiert. Cece verliert auch hier ihr Herz an einen Jungen, den viele liebenswerte Eigenschaften prägen.
Fazit:
Bei "El Taubinio" handelt es sich um eine autobiographische Graphic Novel. Der Autorin gelingt es, viele liebenswerte und interessante Figuren zu erfinden. Cece verliert im Alter von vier Jahren ihr Gehör und muss sich ab diesem Zeitpunkt an viele Veränderungen gewöhnen.
Kindgerecht erzählt die Autorin, wie diese Veränderungen auf Cece wirken. Cece findet neue Freunde, distanziert sich von Menschen, die ihr nicht guttun. Ihr gelingt es, aus ihrem Anderssein Lebenssubstanz zu gewinnen.
Dem Buch gelingt es, die benötigte Resilienz zu verdeutlichen, die es braucht, um schwierige Zeiten zu überstehen.
Das Werk ist durchaus geeignet, um sich vor allem über Gehörlosigkeit zu informieren und das auf eine inspirierende und herzerwärmende Art und Weise.
"El Taubinio" ist einerseits kindgerecht geschrieben, wird aber auch bei erwachsenen Leser/innen gut ankommen. Unbedingte Leseempfehlung!