Besprechung vom 28.07.2021
Mehr als Ehekrise in der Uckermark
Wenn das Sprechen miteinander doch nur frei möglich wäre: Daniela Kriens Roman "Der Brand" verbindet eine private mit einer öffentlichen Geschichte.
Die Leipziger Schriftstellerin Daniela Krien ist ungefähr genauso alt wie Rahel, die Hauptfigur ihres dritten Romans. Vermutlich kennt Krien sich deshalb so gut aus mit dieser Phase des Lebens, in der das Alter schon zu spüren ist und sich manches auch in den besten Zweierbeziehungen verändert. "Peter, was ist mit uns?", fragt Rahel ihren Ehemann, einen Germanistikprofessor, der sich von seinen Studenten als "ewig Gestriger" missverstanden fühlt und sich durch die Flucht in seine Bücherwelt neuen Schwierigkeiten entzieht. Noch kann er mit Rahel in schöner Offenheit reden. Und noch gibt es auch das selbstverständliche Zusammenspiel nicht nur bei der Küchen- und Hausarbeit, das sie in fast dreißig Ehejahren bis zur Perfektion entwickelt haben. Aber lange Gespräche über Gott und die Welt oder die sieben Tugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maßhalten, Glaube, Liebe, Hoffnung sind selten geworden. Als "Ungläubige in der dritten Generation" fällt Religion für sie beide aus.
Doch immer öfter gehen sie nun nicht mehr im Gleichschritt. Oft sitzen sie jetzt nebeneinander auf der Bank vor dem Haus, ohne sich zu berühren. Rahel hat als Psychologin allerdings zu fragen gelernt. Und weil sie weiß, dass Probleme benannt werden müssen, um eine Lösung zu finden, besteht sie auf klaren Antworten. "Willst du eigentlich noch mit mir zusammen sein?", fragt sie und erschrickt über Peters Reaktion: Zusammenleben ja, aber nicht in vollem Umfang, gibt er zu, wie Bruder und Schwester vielleicht. Doch das genügt ihr nicht. Sexualität bedeutet ihr mehr als ihm. Aber sie liebt ihn und möchte ihn nicht verlieren. Und auch er liebt sie ja und ist sich gewiss, dass sie es schaffen werden, zusammenzubleiben. Zumindest für ihre Tochter und den Sohn.
Ihr reizvolles Kammerspiel der Gefühle führt Daniela Krien vor der Kulisse eines leicht verwahrlosten einsam gelegenen Bauernhofs in der Uckermark auf. Die Besitzer sind alte Freunde; sie haben das Akademikerehepaar aus Dresden gebeten, sie dort für ein paar Wochen zu vertreten, während sie sich von den Folgen eines Schlaganfalls erholen. Peter sorgt mit wachsender Freude für die Tiere und freundet sich nicht nur mit einem lahmen Pferd und den vielen Katzen an, sondern gewinnt auch einen flugunfähigen Storch als ständigen Begleiter. In der Idylle des Hofes lässt sich die Welt vergessen, und zumindest bei Peter kommt der Wunsch auf, ein ähnlich alternatives Leben zu führen wie die Hofbesitzer.
Die Bilder vom Bauernhaus als Lebensform, vom Nacktbaden am fast unberührten See, vom Künstleratelier als Rückzugsort in der Scheune, den Freuden des Gärtnerns und Erntens sind ein wenig schablonenhaft und bereits von zahllosen Filmserien am frühen Abend abgenutzt. Mag sein, dass es diese Idylle in der Uckermark noch gibt. Zu Daniela Kriens Realismus aber passt sie nicht recht. Vielleicht hat sie da tatsächlich bereits an eine mögliche Verfilmung gedacht, nachdem das gerade ihrem zweiten Roman, "Die Liebe im Ernstfall", widerfährt, wie der Klappentext enthüllt.
Aber auch die Nebenfiguren sind nicht besonders originell geraten. Besucher kommen auf den Hof: die Tochter, selbst schon Mutter zweier Kinder, und auch der Sohn. Sofort sind alte Konflikte wieder da, mit denen Peter viel besser umgehen kann als seine Frau, weil sie ihn nicht unmittelbar betreffen: Ein schwieriges Mutter-Tochter-Verhältnis setzt sich auch in der folgenden Generation fort. Dass Rahel indes erst so spät beginnt, nach ihrem unbekannten Vater zu suchen, ist nicht überzeugend. Aber auch derart konstruierte Konstellationen bieten der Autorin Möglichkeiten zu treffsicheren Dialogen und ironischen Schlussfolgerungen. Es ist ein reines Vergnügen, Daniela Kriens Roman zu lesen. Nur warum er "Der Brand" heißt, bleibt für die Rezensentin rätselhaft. MARIA FRISÉ
Daniela Krien: "Der Brand". Roman.
Diogenes Verlag,
Zürich 2021.
272 S., geb.
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