Nominiert für den Deutschen Sachbuchpreis 2024
»Warum sind Gesellschaften nicht in der Lage, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten? Das ist die Leitfrage dieses Buches. «
Seit Jahrzehnten wissen wir um die Erderwärmung und ihre Gefährlichkeit. Dennoch nehmen die globalen Treibhausgasemissionen weiter zu. Offenbar gelingt es uns nicht, den Klimawandel zu stoppen. Wie lässt sich dieses Versagen erklären? Warum reagieren Gesellschaften so zögerlich auf diese Bedrohung? In seinem neuen Buch gibt Jens Beckert eine Antwort. Dass die erforderlichen Maßnahmen nicht ergriffen werden, liegt an der Beschaffenheit der Macht- und Anreizstrukturen für Unternehmen, Politiker, Wähler und Konsumenten. Die bittere Wahrheit ist: Wir verkaufen unsere Zukunft für die nächsten Quartalszahlen, das kommende Wahlergebnis und das heutige Vergnügen.
Anhand von zahlreichen Beispielen und mit sozialwissenschaftlichem Besteck zeigt Beckert, warum es sich beim Klimawandel um ein »tückisches« Problem handelt, an dem die sich seit 500 Jahren entwickelnde kapitalistische Moderne aufgrund ihrer institutionellen und kulturellen Strukturen fast zwangsläufig scheitern muss. Die Temperaturen werden also weiter steigen, die sozialen und politischen Auseinandersetzungen werden sich verschärfen. Anpassungsfähigkeit, Resilienz und vor allem solidarisches Handeln sind gefragt. Daraus ergeben sich Aufgaben für eine realistische Klimapolitik.
Besprechung vom 16.03.2024
Klima und Kapital
Wie geht das, mit Anstand scheitern im Kampf gegen die Erderwärmung und den Ausverkauf der Natur? Der Sozioökonom Jens Beckert fordert auf unaufgeregte Weise mehr Realismus ein.
Von Joachim Müller-Jung
Vor vier Jahren, als der amerikanische Romancier Jonathan Franzen seine Leser in einem Essay aufforderte, nicht länger so zu tun, als könnte man das bittere Ende der Klimakrise noch abwenden, wurde das von vielen als Affront wahrgenommen, als wissenschaftlich uninformierte und politisch bestenfalls unbrauchbare Intervention. Die "Klima-Apokalypse" sei ohnehin nicht mehr abwendbar, behauptete Franzen. Alle Hoffnung begraben also? Energiewende, Weltklimagipfel, Schulstreiks, grüne Investments, der radikale Protest auf der Straße - alles zu wenig?
Die Antwort darauf, so könnte man versucht sein, das Buch des Kölner Sozioökonomen Jens Beckert zu resümieren, lautet: Jawohl, am Ende ist alles bloß "Greenwishing". Wir müssen uns damit abfinden, den Klimawandel zu stoppen werde "wahrscheinlich" nicht gelingen. Ob man nun wolle oder nicht, schreibt Beckert, es gelte, sich auf 2,5 Grad globaler Erwärmung einzustellen. Er eröffnet damit in einer klimapolitisch höchst labilen Zeit eine Debatte - nicht aus der Laienperspektive wohlgemerkt, sondern mit wissenschaftlichen Argumenten -, die ein inzwischen tief verankertes Unbehagen über das Klimathema aufgreift.
Beckert ist Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, ein Kenner marktwirtschaftlicher, sozialer und gesellschaftlicher Prozesse. Er recherchiert sorgfältig und formuliert vorsichtig. Die "Klimakatastrophe" taucht bei ihm auf keiner der zweihundert Seiten auf, "Untergang" schon gar nicht. Nur die politisch unverfänglichere "Naturkatastrophe" findet gelegentlich Erwähnung. Angstkommunikation vermeidet er, Furchtappelle auch. Was dazu führt, dass er kritische Szenarien wie die risikobehafteten Kipppunkte des Klimas unberücksichtigt lässt und deshalb naturwissenschaftlich schmerzhafte Lücken bleiben.
Aber warum vom Schlimmsten ausgehen, fragt sich der Soziologe, wenn die Gesellschaft schon bei der einfachen Erderwärmung blockiert ist? Sein Ansatz lautet: "pessimistischer Realismus". Er lädt ein zu einer hysteriefreien Nachdenklichkeit über steigende Temperaturen, ohne freilich die Lage zu verharmlosen. Weshalb übrigens der illustrierte Buchumschlag, auf dem ein gutbürgerliches Paar im Wohnzimmer sein Abendprogramm genießt, während hinter dem Fenster eine lodernde Weltkugel zu sehen ist, durchaus passt. Beckert fordert eine realistischere Klimapolitik, die das Naheliegende und tatsächlich Machbare zügig umsetzt.
Die zweieinhalb Grad Erwärmung noch in diesem Jahrhundert, die Beckert seinen soziologischen Überlegungen zugrunde legt, entspricht in etwa dem aktuellen Kurs der weltweiten Klimapolitik. Keine Katastrophe? "Lassen Sie es mich sehr deutlich formulieren", sagte dazu jüngst der gerade mit dem Umwelt-Nobelpreis - dem Tyler Prize - ausgezeichnete Potsdamer Klimaforscher Johan Rockström, "eine solche Erwärmung ist ohne jeden Zweifel ein Desaster. Wir wären an einem Punkt, den wir in den letzten fünf Millionen Jahren nicht gesehen haben. Es gibt keine Evidenz, dass ein solcher Planet die Menschheit aushält."
Die Aussage stammt von dem Klimaforscher, dessen Werk über die "Planetaren Grenzen" für Beckert eine wichtige Erweiterung des Klimathemas bedeutet. Die zivilisatorischen Risiken ergeben sich nämlich nicht ausschließlich aus der Erderwärmung. Vielmehr, so Beckert, sei die Krise vieldimensional: "Mit der Energiewende ist es längst nicht getan." Ressourcenschwund, Artenverarmung, Wassermangel: Wollte man etwas ändern an den großen Problemen, die durch den menschengemachten Klimawandel immer bedrohlicher werden - und ihre Eindämmung immer teurer -, müsste nach Beckert etwas geschehen, "was in den bestehenden Strukturen nicht geschehen kann: die Verringerung wirtschaftlicher Aktivitäten".
Damit sind wir beim eigentlichen Thema dieses Buches angekommen - und wenn man so will, auch dem Kern der gegenwärtigen Klimadebatte: die Zukunft der ökonomischen Grundlagen unserer Zivilisation, die sich für Beckert in drei historischen Transformationen während eines halben Jahrtausends herausgebildet und mit der "kapitalistischen Moderne" ihre nahezu unzerstörbare Ausprägung erreicht haben. Schon in seinem vorhergehenden Buch hatte sich Beckert mit den Grenzen des Kapitalismus und seinen "Imaginationen" kritisch auseinandergesetzt.
Hier nun wird der Kapitalismus zum Dreh- und Angelpunkt der ökologischen Krise unseres Planeten. Beckerts nicht mehr überraschende These lautet: Dem Markt "fehlt ein eingebauter Mechanismus, um die ökologischen Schäden zu berücksichtigen, die aus der Nutzung der Natur entstehen". Und fatalerweise kann sich für ihn daran kaum etwas ändern. Der wachstumsgetriebene Prozess der "kreativen Zerstörung" sei in das moderne kapitalistische System eingebaut - und zwar nahezu unumstößlich. Wachstum und Konsum bedeuten Ausbeutung, und die Natur ist der nicht in Rechnung gestellte Selbstbedienungsladen des Marktes.
So hat sich allein in den letzten dreißig Jahren der globale Materialverbrauch verdreifacht, gleichzeitig ist die Atmosphäre zur Müllhalde geworden. Niklas Luhmann hatte das auf die Formel gebracht: Märkte informieren ihre Gesellschaften nicht über den Zustand der natürlichen Umwelt. Und Beckert folgt dieser Diagnose: Der Klimawandel sei das größte Marktversagen aller Zeiten - und das größte Politikversagen obendrein. Beobachtbar ist das in den Jahr für Jahr auf den als "Cops" bezeichneten UN-Vertragsstaatenkonferenzen, wo die globalen und nationalen Klimabilanzen mit ihren Klimazielen debattiert werden. Seit dem Pariser Vertrag vor neun Jahren gilt: global möglichst nah an 1,5 Grad Erwärmung bleiben und Klimaneutralität bis zur Jahrhundertmitte. Beckerts Fazit aus den diplomatischen Endlosschleifen: Den Gordischen Knoten gibt es nicht. Die Klimakrise ist systemisch bedingt, sie ist systemisch aber für ihn nur bedingt lösbar. Der Kapitalismus sei blockiert. Blockiert in einer "Funktionslogik", in der das Profitstreben und der Wachstumsimperativ fest eingebaut seien, ebenso wie der Konsumwunsch als treibende Kraft des modernen Individualismus - eine mächtigere Kraft als die Forderung, "unnötige" Kosten in die Bilanzen einzubauen.
Beckert versucht daher erst gar nicht, gegen die vorherrschende "Ideologie der Marktgläubigkeit" anzukämpfen. Zu verlockend sei für die Gesellschaft das Versprechen, das dem Wohlstandsrennen innewohnt, als dass die Macht des Marktes rigide gebrochen werden könnte. Und auch die Politik will das offenkundig nicht: Sie regt die Konsumenten vielmehr zu einem Verhalten an, das der Ressource Natur die Existenzgrundlagen raubt und der Wirtschaft unabsehbare Kosten in der Zukunft aufbürdet. Statt vorausschauend steuernd einzugreifen, werden diese zukünftigen Kosten verdrängt und Wirtschaft wie Politik flüchten sich in eine, wie Beckert es nennt, "Politik der Erwartungen" und Versprechungen. Immerzu werden neue Zielmarken als allseits akzeptierte Strategie im Umgang mit dem Klimawandel gesetzt.
Tatsächlich wird so vor allem die Illusion wachgehalten, der Markt habe noch selbst alle Möglichkeiten in der Hand, etwa über die Kohlendioxidsteuer oder Emissionszertifikate und -handel. Für Beckert sind das immer noch stumpfe Waffen für die Lenkung des Marktes, lückenhafte Versuche bislang, um selbstregulierend umzusteuern und so mit kapitalistischen Mitteln für Korrekturen zu sorgen. Ohne von außen, also politisch gesetzte Regeln und neue Anreize, auch Subventionen, hält er einen erfolgreichen Kampf gegen den Klimawandel nicht einmal ansatzweise für realistisch. Nicht allein deshalb, weil kapitalistisches Wirtschaften daran festhält, Umweltschäden nicht in die Bilanzen aufzunehmen, sondern weil auch die alles entscheidenden Finanzmärkte für Beckert "scheinheilig" agieren und weiterhin allein renditeorientiert agieren.
Die "Schlagkraft politischer Macht" sei schließlich auch deshalb gefragt, weil die Zeit fürs Umsteuern schlicht nicht ausreicht. Da wird Beckert ganz konkret, und die Zahlen sind ebenso lehrreich wie beunruhigend. Allein bis ins Jahr 2030, rechnet er vor, müssten die Emissionen um fünfzig Prozent niedriger liegen als in den aktuellen Prognosen. Für Deutschland hieße das, sechs Prozent weniger Emissionen jedes Jahr, tatsächlich liegen wir seit vier Jahren bei zwei Prozent.
Wo also lauert die klimapolitische Hoffnung? Ein Klimadiktat, verwaltet von einer "ökologischen Elite", wie es in manchen Teilen der Postwachstumsbewegung ventiliert wird, hält der Autor aus vielerlei Gründen für Spinnerei. Der wichtigste unter ihnen: Wer sollte dann garantieren, dass in solchen autoritären politischen Regimen die richtigen Weichen gestellt würden? Mit einem Zwang zum Schrumpfen und Verzicht würden zudem Verteilungskonflikte explodieren. Beckert schließt solche ökonomischen oder soziologischen Kipppunkte aus.
Realistischerweise sieht er die Demokratie in der Pflicht : "Es braucht einen aktiv gestaltenden Staat, nicht einen, der für die Gesellschaftsentwicklung vornehmlich den Markt in der Verantwortung sieht." Aktive Gestaltung ist allerdings ein dehnbarer Begriff, wenn man an die jüngsten Erfahrungen der deutschen Energiepolitik - Stichwort: Heizungsgesetz - denkt.
Wäre es aber nicht denkbar, dass "grünes Wachstum" zum Selbstläufer wird? Der Preisverfall und der Ausbau erneuerbarer Energien ging in vielen Ländern zuletzt in der Tat überraschend schnell vonstatten, auch in Deutschland. Nahziel des grünen Wachstums ist es, die Wertschöpfung pro emittierter Tonne Kohlendioxid zu steigern - die Entkoppelung von Wachstum und Emission. Beckert zufolge ist das, wenn es gelingt, die nächste "Häutung" des Kapitalismus. Damit sie vollständig und schnell in die Funktionslogik des Kapitalismus eingebaut wird, muss sich jede Klimaschutzmaßnahme lohnen, müssen Kapitalrenditen zu erwirtschaften sein. Oder wie Beckert es formuliert: "Klimaschutz muss übersetzt werden in die Sprache der Preise."
Der Soziologe ist trotz der jüngsten Dynamik auch in dieser Hinsicht eher pessimistisch. Denn damit es dazu kommt, müssen gewaltige Mittel durch einen Finanzmarkt mobilisiert werden, der bisher noch immer selbst definieren kann, was an Investitionen als nachhaltig oder klimaschonend gelten soll. Laut Beckert werden die bisher avisierten Investitionen jedenfalls nicht ausreichen. Nach McKinsey-Angaben müssten schätzungsweise 9,2 Billionen Dollar ab sofort und jedes Jahr mobilisiert werden, um mit grünem Wachstum einen Klimawandelstopp herbeizuführen. Das entspricht sieben bis acht Prozent der weltweiten Wertschöpfung - Jahr für Jahr. Die Ausgaben für die Energiewende müssten allein bis zum Jahr 2030 verdreifacht werden. Wer will die Staaten beziehungsweise die Weltgemeinschaft dazu überreden?
Und noch etwas dämpft die Erwartungen des Autors an grünes Wachstum: die ökologischen Kollateralschäden, die ein "grüner Turbokapitalismus" mit sich bringen könnte. Rohstoffausbeutung für Solarmodule und Windmühlen erzeugen neue Externalisierungen von Umweltschäden. Eine Kreislaufwirtschaft gibt es noch nicht, und damit könnten die Rohstoffländer über kurz oder lang "im Dreck der sauberen Energie" ersticken, fürchtet Beckert. Beispiel Sonnenenergie: Ein einziges Solarmodul in der Größe von 1,7 Quadratmetern enthält etwa ein Kilo Kupfer. Beim Abbau der Erze für diese Menge Metall entstehen rund 200 Kilogramm giftige Bergbauschlämme, die Arsen, Cadmium, Quecksilber, Blei und andere Schwermetalle enthalten.
Hinzu kommt: Regenerative Energien können die fossilen Klimakiller in den benötigten Mengen kurzfristig nur schwer ersetzen, für Beckert sogar auf Jahrzehnte nicht. Denn mit dem Wachstum steigt der Energiehunger. Vielmehr werde die grüne Transformation nur parallel hochgefahren, und "Big Oil", die billionenschwere fossile Energiewirtschaft, werde in der für den Klimawandel "kritischen Zeit" kaum zu bändigen sein, weil Lobbyismus und Desinformation ihre Macht behalten. Auch da gilt: keine Kipppunkte hin zum Besseren in Sicht. Diese pessimistischen Einschätzungen decken sich durchaus mit den aktuellen fossilen Ausbauplänen weltweit und den zurückliegenden Cop-Resultaten. Großtechnische Auswege vielleicht? Auch sie kommen zu spät. Greifen könne der oft aberwitzig teure Technologismus ohnehin erst, so Beckert, wenn der Staat sich zu Regeln durchringen und viel Geld dafür bereitstellen würde. Die staatliche Schuldenbremse hält Beckert schon deshalb für einen Irrweg.
Was also tun? Wie Jonathan Franzen hält Beckert es für entscheidend, Zeit zu gewinnen. "Soziale Resilienz" im Klimawandel aufzubauen, sei das Gebot der Stunde, das Anpassen lernen. Untergräbt er so die essenziellen Eindämmungsstrategien im Fossilsektor und damit auch die klimapolitische Moral? Sicher nicht bei jenen, die von ökologischen Fragen umgetrieben sind. Sie werden vom 1,5-Grad-Ziel kaum abrücken, ihr Realismus baut auf wissenschaftlich fundierten Untergangssorgen. Für alle anderen finden sich in dem pessimistischen Realismus von Beckert tatsächlich wenig Zuversicht und Trost. Nur die Gewissheit: Blinder Optimismus ist wahrscheinlich auch keine Lösung. Klimamüdigkeit geht gar nicht.
Jens Beckert: "Verkaufte Zukunft". Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2024. 238 S., Abb., geb.
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