Manus Gesetzbuch, die Manusmriti oder auch Manava-Dharmashastra, ist einer der meistgebrauchten und meistzitierten altindischen Texte im Bereich von Recht, Sitte und Religion. Ein breites Spektrum von Themen wird darin abgedeckt: Neben religiösen, rituellen, politischen und alltagsweltlichen Normen werden auch präzise Vorschriften zu Erbschaft, Adoption, Steuern, Strafen, Verfahrensrecht und Sühnungen gegeben. Dabei werden teilweise kontroverse Positionen bezogen: Dies gilt zum Beispiel für die Stellung der Frau, die hierarchisch geordnete Kastengesellschaft mit den Brahmanen an der Spitze, die einschneidenden Reinheitsgebote sowie die teilweise drakonischen Strafen bei bestimmten Zuwiderhandlungen. Freilich wäre diese Schrift, die etwa zwischen 100 v. Chr. und 200 n. Chr. entstanden ist, mißverstanden, wenn man in ihr eine vor Gericht verwendete Gesetzessammlung sehen wollte. Es handelt sich vielmehr um ein Lehr- und Merkbuch für brahmanische Rechtsgelehrte, das deren Weltanschauung widerspiegelt: Gefordert wird eine heilige Allianz von Brahmane und König, was unter anderem eine Reaktion auf die wachsenden Ansprüche niedrigerer Bevölkerungsschichten darstellt. Insofern ist Manus Gesetzbuch ein eindrückliches Dokument einer dominanten religiösen Richtung im Hinduismus, die im Alltagsleben der Gläubigen immer auch in Spannung zu anderen, nicht oder kaum von Brahmanen geprägten Religionen wie etwa lokalen Volksreligionen steht. Eine der bedeutendsten brahmanischen Textsammlungen Altindiens, welche die sozialen und politischen Prozesse des hinduistischen Südasiens bis in die Gegenwart hinein beeinflußt, erscheint nun erstmals in einer deutschen Übersetzung aus dem Sanskrit-Original.