Besprechung vom 17.05.2022
Über die Dörfer
Martin Kämpchen, regelmäßiger Beiträger im Feuilleton der F.A.Z., lebt seit 1971 in Indien und hat nun eine Autobiographie vorgelegt. Der 1948 in Boppard geborene Übersetzer ging nach Indien nicht als Aussteiger, sondern als gewissenhafter Akademiker. Ursprünglich wollte er nach Nigeria, doch dort herrschte Krieg. Kämpchen brachte Literaturwissenschaft (Germanistik) und eine christliche Grundeinstellung mit in ein Land, für das Deutschland nicht sehr sichtbar und das Christentum randständig war. Er ließ sich in Santiniketan bei Kalkutta nieder, wo der einzige Literaturnobelpreisträger Indiens, der Pädagoge und Reformator Rabindranath Tagore, eine freie Universität gegründet hatte. Mit vielen Reisen und regelmäßigen Deutschlandaufenthalten baute Kämpchen ein großes deutsch-indisches Netzwerk auf, übersetzte Tagore, schrieb über Hermann Hesse, Günter Grass, Ramakrishna und Franz von Assisi, brachte auch als Vermittler zwischen den Kulturen in umliegenden Dörfern Projekte für bessere Bildungsmöglichkeiten in Gang. Kinderbücher kamen obendrein dazu.
Entscheidend sind natürlich Kämpchens Sprachkenntnisse, insbesondere des Bengalischen. Es galt für ihn, den Blick auf eine fremde Welt zu kultivieren ebenso wie deren Wahrnehmung von innen - um die Verknüpfung beider Perspektiven kreisen Kämpchens Bemühungen, von denen er in seinem Buch berichtet und dabei auch selbstkritische Reflexionen nicht ausspart. Auf die Frage, warum er so lange in Indien geblieben ist, wechseln seine Antworten: mal heißt es, wegen eines alten weißhaarigen Mannes (Tagore), mal wegen der Menschen in den Dörfern. Dass sein Fazit lautet, Indien könne niemals ganz erfasst werden, versteht sich fast von selbst. ELMAR SCHENKEL
Martin Kämpchen: "Mein Indien". Zwischen den Kulturen zu Hause.
Patmos Verlag, Ostfildern 2022. 480 S., Abb., br.
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