Besprechung vom 19.02.2021
Wenn der Wille zur Schönheit im Exzentrischen verunglückt
Turit Fröbe wird der Stoff nicht ausgehen, so viel ist angesichts des anhaltenden Baubooms sicher. Seit zwanzig Jahren schon widmet sich die Architekturhistorikerin dem Genre der Bausünde. Zunächst hat sie ihre Fundstücke aus deutschsprachigen Landen zu "Abreißkalendern" zusammengestellt, dann zu Büchern. Mit "Eigenwillige Eigenheime" folgt nun die Fortsetzung zum überaus erfolgreichen Band "Die Kunst der Bausünde", der sich dem Genre der Missgestaltung quer durch die Gebäudetypologien gewidmet hatte.
Fröbe versteht sich gewissermaßen als Reisepriesterin, die die Sünder aufsucht und ihnen die Absolution erteilt. Jedenfalls dann, wenn sie das begangen haben, was Fröbe in ihren knappen Erläuterungen eine gute Bausünde nennt - diese also vom Mut und von der Ambition zeugt, das Schöne zu wollen, um dann doch das besonders Hässliche zu erschaffen. Erst das Exzentrische, Monströse, Originelle macht eine Bausünde für die Autorin interessant; wenn sie Wut und Ablehnung spürt, ist der Nachweis erbracht. Schlechte Sünden dagegen sind banal und an jeder Ecke zu finden; langweilende Investorenarchitektur zählt Fröbe dazu.
Die Annäherung an das Thema über das Stilmittel der ironischen Affirmation ist zwar originell, wirkt in der Wiederholung aber auch ein wenig bemüht. Wer den ersten Band Fröbes besitzt, muss sich die Fortsetzung nicht zwingend zulegen. Manche Sündenkategorien werden nur in neuen Bildbeispielen vorgestellt, etwa die von Fröbe so genannten "Schizohäuser", also Doppelhäuser, deren eine Hälfte vom Eigentümer so umgestaltet wurde, dass sie nun ästhetisch maximale Distanz zum Nachbarn wahrt. Auch wilde Kombinationen verschiedener Dachformen in einem Baukörper hat Fröbe wieder ausfindig gemacht. Und abermals hat sie Häuser aufgespürt, deren Gestaltung auf eine Art Exilantenschicksal oder zumindest Fernweh der Bewohner hinweisen - sei es, dass in Berlin bayrische Bauernhöfe zitiert werden oder in Schloss Holte-Stukenbrock eine Villa im toskanischen Stil steht (oder, genauer, in dem, was der Architekt dafür hält).
Besonders viele Beispiele hat Fröbe für ein Phänomen gesammelt, das im ersten Band als Neopalladianismus nur am Rande Erwähnung fand, sich inzwischen aber seuchenähnlich ausgebreitet zu haben scheint: Häuser, die mit Portikus samt Dreiecksgiebel auf Villa oder sogar Schloss machen und die Stilunsicherheit der Neu- und Möchtegernreichen dokumentieren. Es wäre interessant zu erfahren, ob die Häufung der Beispiele aus Berlin und Frankfurt auf die Reiserouten der Autorin zurückzuführen ist oder ob tatsächlich regionale Schwerpunkte für diese Verirrung nachweisbar sind.
Zu den Bausünden zählt Fröbe auch Fassadenmalereien, die als Zeichen für die Schnelllebigkeit unserer Zeit gehäuft aufträten. Sie tut der altehrwürdigen Tradition des Trompe-l'oeil damit ziemlich Unrecht. Erschütternder fällt da schon ihre umfangreiche Dokumentation der Wüsteneien aus, zu denen immer mehr Vorgärten durch Schotter, Gabionen und Pflastersteine gemacht werden. Lauter gute Bausünden? Wer das glaubt, dem sollte nicht vergeben werden.
MATTHIAS ALEXANDER
Turit Fröbe: "Eigenwillige Eigenheime". Die Bausünden der anderen.
DuMont Buchverlag, Köln 2021. 160 S., Abb., geb.
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