Ich folge Metin Dogru schon eine ganze Weile auf Instagram und liebe seine kurzen Videos aus dem Pflegealltag. Als Psychologin, die in der Klinik eng mit der Pflege zusammenarbeitet, habe ich mich sehr auf sein zweites Buch gefreut und war sehr gespannt. Der Schreibstil ist gewohnt angenehm durch eine nahbare und fast plauderhafte Art, wodurch man sehr entspannt durch das Buch kommt. Die persönlichen Einblicke und Erfahrungenen des Autors werden immer wieder mit den Berichten pseudonymisierter Personen aus dem Pflegebereich ergänzt und mit kleinen Einschüben aus "Rabiatas Welt" aufgelockert.
Leider tat ich mich schwer damit, einen wirklichen roten Faden zu finden. Es ergab sich für mich keine fortlaufende Argumentation mit klarem Fazit, es wurden viel mehr die gleichen Themen immer wieder wiederholt. Dies unterstreicht zwar die Dramatik der Situation in den Pflegeberufen, wirkt aber auch etwas unsortiert. Ebenfalls fiel es mir schwer, inhaltliche Zusammenhänge zwischen den anonymisierten Berichten anderer Pflegefachkräfte und dem jeweiligen Thema des dazugehörigen Kapitels herzustellen. Die Berichte waren teils schockierend, aber passten nicht zu dem gerade Besprochenen.
Mein größten Kritikpunkte stellen allerdings die relativ späten Erklärungen zu den angesprochenen psychischen Erkrankungen und die Vermischung verschiedener Begriffe dar. Meiner Meinung nach, hätten die genauen Beschreibungen der Erkrankungen gleich zu Beginn erfolgen können, damit alle Leser auf einem ähnlichen Wissensstand sind.
Im Buch werden mehrmals Erlebnisse von psychiatrischen Stationen geschildert. Dabei wäre es wichtig gewesen, den genauen Kontext anzugeben: teilstationär (Tagesklinik) oder stationär und da vor allem die klare Trennung zwischen offenen und geschützten Stationen. Ich erlebe immer wieder Patienten, die sich zu spät Hilfe suchen, weil sie massive Ängste vor psychiatrischen Einrichtungen haben und solche dramatischen Berichte ohne genaue Einordnung helfen da nicht wirklich. Auch im Hinblick auf die Hilfsangebote und Therapiemöglichlichkeiten am Ende des Buches, wäre mehr Genauigkeit wünschenswert gewesen. Welche Ungenauigkeit mir aber am meisten aufgestoßen ist, da fühle ich mich persönlich getriggert, ist die Vermischung der Begriffe Psychiater, Psychologe und Psychotherapeut, was im Buch mehrmals passiert ist (z.B. S. 132 "Psychiater", auf S. 135 "erwähnten Psychologen").
Psychiater: Medizin studiert und dann den Facharzt für Psychiatrie gemacht;
Psychologen: Psychologie studiert, nicht ambulant tätig aber v.a. in Kliniken;
Psychotherapeuten: Psychologie studiert und anschließend Approbation zum psychologischen Psychotherapeuten gemacht, ambulante Psychotherapie, aber auch in Klinken zu finden
Das ist auch für Betroffene wichtig zu wissen, an wen sie sich wenden müssen.
Mein Fazit: Der wunderbare Schreibstil hat mich das Buch schnell lesen lassen und mir neue Einblicke in die Situation des Pflegepersonals gegeben. Der Aufbau und die beschriebenen Ungenauigkeiten haben mich immer mal wieder stocken lassen, aber insgesamt habe ich es gerne gelesen.
Ich finde es vom Autor sehr mutig und bewundernswert, so viel von sich offen zu legen und auch Kritik an den Arbeitsbedingungen zu üben. Dafür auf jeden Fall ganz viel Respekt!