Lina lebt mit ihrer Mutter und den beiden jüngeren Schwestern in der Anonymität eines Hochauses, was hinter den anderen Wohnungstüren passiert weiss man nicht und will es eigentlich auch nicht wissen, Anteil am Leben seiner Nachbar nimmt man höchstens durch die Essensgerüche im Treppenhaus, oder durch die Lautstärke des Fernsehers. Im 12. Stock sind es allerdings keine Essensgerüche, die Lina unangenehm auffallen und kurz darauf findet man eine Leiche in der Wohnung gegenüber. Trotz der regelmäßigen Besuche eines Pflegedienstes lag hier eine ältere, alleinstehende Dame bereits seit mehreren Tagen tot in ihrem Bett. Das Szenario, mit dem der Leser ins Buch startet spielt natürlich direkt auf die teilweise prekären Zustände im Pflegebereich an. Pflegekräfte, die quasi im Minutentakt Patienten versorgen, Krankenkassen, die immer mehr Kosteneffizienz verlangen, Krankenhäuser, die Verantwortung an niedergelassene Ärzte weitergeben, Ärzte, die nur das Nötigste an Versorgung verschreiben können, Pflegedienste, die händeringend Mitarbeiter mit Empathie und Fachkenntnissen suchen. Ein Szenario, so dicht an der Realität, dass man ständig mit dem Kopf nickt und denkt - ja, genau so ist es. Der Fall der verstorbenen alten Dame ist recht bald ad acta gelegt, die Ermittler, die damit befasst waren bekommen es mit anderen Todesfällen zu tun. Auf den ersten Blick haben diese nichts miteinander zu tun, allerdings ist man da als Leser im Vorteil, ahnt man doch, dass mehr dahinter steckt. Das Buch ist in fünf Abschnitte unterteilt, die wiederum in mehreren Kapiteln erzählt werden, hier kommen abwechseln die verschiedenen Figuren zu Wort. Da ist zb die junge Lina, der der Einblick in die Polizeiarbeit und die Bekanntschaft mit der Tochter eines der Komissare eine völlig neue Richtung in ihrem Leben aufzeigt, Claus-Raphael der unmotivierte Pfleger, oder die geheimnisvolle Kimmi. Als Leser erlebt man die Ereignisse so immer aus mehreren Blickwinkeln, wobei teilweise auch in Rückblicken erzählt wird und bekommt so natürlich viel schneller eine Ahnung, wohin die Geschichte geht. Die sympathischen Ermittler haben es da etwas schwerer, man verfolgt ihre mühsame Arbeit und taucht auch tief in ihr Privatleben ein, dass auf sehr dramatische Weise mit dem Kriminalfall verbunden ist. Autorin Nicole Eick schreibt sehr dicht an der Realität, was die Geschichte um so spannender macht. Der Kriminalfall ist raffiniert aufgebaut, die Figuren glaubwürdig, authentisch und in der Lage Emotionen beim Leser zu wecken. Das Buch ist nicht nur ein spannender Kriminalfall sondern auch eine Kritik an der aktuellen Situation im Pflegesektor und an der Gesellschaft als solche. Der Stil der Autorin macht es leicht in die Geschichte hineinzufinden, der Plot und die Figuren tun das ihre. Die Geschichte ist so atmosphärisch dicht, dass man das Buch kaum aus der Hand legen kann, wobei es weniger um blutige Szenarien geht, als um das zwischenmenschliche und die tiefergehende psychologische Ebene. Eine gut gelungene Mischung, die einen auch noch lange nach der Lektüre beschäftigt.