Das Haar ist Ausdruck von Schönheit und Zugehörigkeit, Jugend und Reife, Vitalität und Persönlichkeit; das Haar ist Fetisch, soziale Metapher und Krönung der Schöpfung - von der Wurzel bis in die Spitze. Idole, Kult und Mode beeinflussen, wie uns das Haar gekrümmt oder geglättet wird. Im Friseursalon, dem Barbershop, dem Hundestudio, beim Waxing und Sugaring beschwören die Hohepriester:innen mit Kamm und Schere unsere Häupter: Sie zupfen, massieren, striegeln und rasieren. Dabei sind die Wirkstätten unabdingbarer Ort der menschlichen Nähe, Verhandlungsräume von Respekt und Intimität, Orte der Selbstbestimmung und Selbstständigkeit, des Konsums und der Dienstleistung, aber auch des Gesprächs und des Gegenübers. Paul-Henri Campbell hat sich mit Friseuren, auch Hundefriseuren, mit Historikerinnen, Museumsmitarbeitern, Sozial- und Bibelwissenschaftlerinnen, Ordensleuten und anderen Experten aus Wien, Heidelberg, Triest und anderen Städten unterhalten. Dabei sprachen sie über ihr Selbstverständnis, ihre Erfahrungen im Beruf, das Studio als Arbeits- und Begegnungsort. Auch die Dynamik des Arbeitsumfelds wird in diesen Gesprächen in all ihrer menschlichen Wärme und prekären sowie urbanen Durchmischung sichtbar. So erkunden diese Gespräche eine religiöse Dimension des Haaretragens und Haareschneidens, die einmal explizit kultisch informierte Stile aufgreift, einmal assoziativ und in Überlappungen mit dem Phänomen der Spiritualität, Glaube und persönlicher Frömmigkeit in Berührung kommt. Es geht um das menschliche Antlitz - seine struppige Anziehungskraft und seine zersplissene Vieldeutigkeit.