Besprechung vom 01.09.2024
Besondere Vorkommnisse
Gemeinsam allein
Die Schriftstellerin Katja Lange-Müller hat endlich einen neuen Roman geschrieben, die Geschichte von zwei, nein: drei Frauen, die in wechselnder Konstellation in einem Haus am Rande Berlins zusammenleben. Alle suchen dort den Ort, an dem ihnen der Rest der Welt für den Rest ihres Lebens egal sein kann, und finden ihn nicht, oder vielleicht doch, letztlich geht es in "Unser Ole" (Kiepenheuer & Witsch, 24 Euro) aber um den pubertierenden Jungen im ersten Stock des Hauses, der als autistisch gilt und von seiner Großmutter Elvira aufgezogen wird, die sich zur Unterstützung die schöne Ida ins Haus holt, und dort leben die Seniorinnen jetzt in einer WG zu Versorgung unausgesprochener Bedürfnisse (Einsamkeit, nicht Sex) mit Ole, der kaum sein Zimmer verlässt, nur für Cola und Bockwurst. Das ist die erste Konstellation, die zweite beginnt mit einem Unglücksfall, der Manuela, die Mutter des Jungen, ins Haus holt, die dort auch erst etwas anderes sucht, als sie nach und nach findet, und selbst wenn Lange-Müller dieses komische Ding Leben in früheren Romanen (wie "Böse Schafe", 2007) genauer auf den Punkt gebracht hat als im neuen, findet man in "Unser Ole" den Ton, den man von ihr so mag, witzig und weise und geschärft vom Leben in Berlin (Ost wie West). "Dort gibt es so viele", heißt es am Ende dieses Generationenbuchs, "die sich irgendwie durchschlagen, gemeinsam oder allein, da fällt einer mehr gar nicht auf." Das könnte die Weisheit dieses Romans sein, oder des komischen Dings Leben, wäre es nicht viel zu hochtrabend für diese große Autorin. tob
Kritik in der Elternzeit
Was macht ein Literaturkritiker in der Elternzeit, wenn das Baby schläft? Er liest Bücher. Xaver von Cranach vom "Spiegel" hat darüber hinaus damit begonnen, in seinen Insta-Storys Mini-Kritiken zu veröffentlichen, erst über Caroline Wahl (fand er schlimm), dann zu Philipp Felsch über Habermas (fand er sehr gut), jetzt fängt er mit "Kairos" an. Oft kommt ihm etwas dazwischen, weswegen man aufpassen muss, dass man den Anschluss nicht verpasst. Will man nicht! jia
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