Sommer 1992, in einem fiktiven Planort an der Elbe, drei Jahre nach der Wende. Diedreizehnjährige Pilly lebt mit ihrem alleinerziehenden Vater Martin in einem trostlosen Plattenbau,die Mutter Waltraud hat die Familie schon vor der Wende verlassen. Das Betonwerk, in dem Martingearbeitet hat, wurde ersatzlos geschlossen, viele Menschen haben ihre Arbeit und Perspektiveverloren. Stattdessen herrscht Tristesse. Wer kann, verkauft sein unberührtes Grundstück an derElbe an reiche Westdeutsche, die die Natur dem Erdboden gleichmachen.Pilly nimmt all diese Umbrüche wahr, laviert sich durch den Alltag mit ihrem gegen Abend immerbetrunkener werdenden, aber sich rührend kümmernden Vater. Und es gibt da ihre Tanten und einepensionierte Lehrerin, die sich ebenfalls kümmern. Aber wirklich wichtig ist ihr die Anerkennungder etwas älteren Katja, für die sie auch über Grenzen geht. Und sie vermisst ihre Mutter. Als dieseunerwartet auftaucht, wird das Leben der Protagonisten auf den Kopf gestellt.Der Roman beschreibt das Leben in einem Ort in der ehemaligen DDR zu einem Zeitpunkt, als sichdie anfängliche Begeisterung über die Wiedervereinigung längst gelegt hat. Einige haben zwar nochHoffnung auf ein besseres Leben, aber bei den meisten ist Ernüchterung eingekehrt. Dieverbliebenen Vertragsarbeiter aus Vietnam werden misstrauisch beäugt, erste Übergriffe werdenebenso emotionslos zur Kenntnis genommen wie die Stasi-Vergangenheit der Nachbarn.In den Kapiteln, die aus Pillys Sicht geschrieben sind, spielt all das eigentlich keine Rolle, obwohles sie natürlich betrifft. Sie ist in erster Linie ein Kind an der Schwelle zur Frau, das sich nachLiebe und Anerkennung sehnt und dafür auch schmerzliche Grenzen überschreitet.Vermutlich hat die Autorin das Lebensgefühl vieler Menschen zu dieser Zeit gut eingefangen,bekannte historische Ereignisse wurden geschickt in die Romanhandlung verwoben. Trotzdem lässtmich die Lektüre ein bisschen ratlos zurück. Viele verschiedene Personen, die nicht immer relevantfür das weitere Geschehen sind, begonnene Erzählstränge, die nicht zu Ende verfolgt werden, nichtganz nachvollziehbare Handlungen - die Autorin macht es den Lesenden nicht leicht. Hinzu kommteine recht düstere Stimmung und fast schon phlegmatische Charaktere. Das alles aber sprachlichdurchaus überzeugend erzählt.Verlassene Nester gehört zu den Büchern, die ein zweites Mal gelesen werden müssten, um sieausreichend würdigen zu können. Dafür ist mir das Buch aber leider zu anstrengend gewesen.