Besprechung vom 16.09.2024
Kaufhauskönig Helmut Horten
Biographie eines ambivalenten Unternehmerlebens
Den Lesern der F.A.Z. ist das Autorenduo bekannt: Am 18. Januar 2022 war in dieser Zeitung von Peter Hoeres und Maximilian Kutzner ein Beitrag mit dem Titel "Der Kaufhaus-König in der NS-Zeit" zu lesen. Der Würzburger Professor für Neueste Geschichte, Hoeres, und sein vormaliger Doktorand referierten dort ein Gutachten, mit dem sie die Witwe des mehr als drei Jahrzehnte zuvor verstorbenen Kaufhausmagnaten Helmut Horten 2020 beauftragt hatte. Horten (1909-1987) gilt als herausragender Akteur des bundesdeutschen Wirtschaftswunders. Er schuf in rasantem Tempo den viertgrößten deutschen Kaufhauskonzern. Angesichts immer noch virulenter Vorwürfe, Horten habe den Grundstein für sein späteres Kaufhausimperium im Zuge der Enteignung jüdischer Firmen durch die Nazis gelegt, sollte das Gutachten dessen Vermögens- und Geschäftsaufbau im Kontext der "Arisierung" zwischen 1933 und 1945 untersuchen. Bei Vorlage des 230-seitigen Papiers im Jahr 2021 beklagte Hoeres, dass "eine seriöse Biographie Helmut Hortens nach wie vor schmerzlich fehle". Heidi Horten unterstützte das Vorhaben und machte Quellen aus der Schweizer Stiftung des Unternehmers zugänglich, bevor sie im Jahr 2022 starb.
Weil ein Firmenarchiv fehlte und Unterlagen vernichtet worden waren, griffen Hoeres und Kutzner des Weiteren auf staatliche und kommunale Archive sowie Sekundärquellen zurück. Erster Schwerpunkt ihrer weit ausholenden Biographie wurde nach einem Blick auf Hortens gutbürgerliche Herkunft aus einer Kölner Juristenfamilie dessen geschäftliches Agieren in der NS-Zeit. Kapitel zwei und drei erzählen, wie der junge Kaufmann Schritt für Schritt acht Kaufhäuser von zur Emigration gezwungenen jüdischen Besitzern unter Marktwert übernahm, als Erstes im Jahr 1936 das Duisburger Textilkaufhaus Gebr. Alsberg. Horten habe "die Lage nicht herbeigeführt, aber für sich genutzt," sagen Hoeres und Kutzner.
Ihre Darstellung der "Arisierungen", an denen Horten beteiligt war, folgt dabei ihrem Gutachten. Es beleuchtete - im Anschluss an die betriebswirtschaftliche Rekonstruktion der Transfers - Hortens Verhalten bei und nach den Übernahmen sowie im Nachkriegsdeutschland, wo er sich allzu prekären Teilen seiner Vergangenheit stellte. Für die NS-Zeit betonen die Autoren, dass Horten zwar "Nutznießer" des Unrechtsregimes gewesen sei, aber versucht habe, beim Ankauf "nach handelsüblichen Mechanismen" vorzugehen. Die Nazis allerdings hätten gemeint, er habe für die jüdischen Eigentümer zu günstige Verträge abgeschlossen, und warfen ihn 1944 als politisch unzuverlässig aus der NSDAP. Insgesamt sei Horten ein typischer Unternehmer gewesen. Für ihn habe stets das "Primat des Ökonomischen", hohe Risikobereitschaft und Wachsen um jeden Preis, gegolten. Das zeige sein Engagement ab 1943 im Rüstungsgeschäft mit Zwangsarbeitern beim Flugzeugwerk Johannis-thal. Am Kriegsende sei ein Großteil seines Vermögens verloren gewesen.
Hortens sagenhafte Erfolgsgeschichte in den Wirtschaftswunderjahren ist zweiter Schwerpunkt der Biographie. Nach schwierigem Neuanfang zwischen 1951 und 1968 wurde er vom Kaufhausbesitzer zum Kaufhausmagnaten - mit zuletzt 29.000 Angestellten, 51 Warenhäusern und zwei Milliarden D-Mark Umsatz. In Kapitel vier, fünf und sechs feiert ihn das Buch als "Bindeglied zwischen Produzenten und Konsumenten". Seine Warenhäuser hätten Millionen Deutschen den preiswerten Zugang zu einem breiten Sortiment und den Anschluss an die moderne Konsumgesellschaft ermöglicht. Als "integralem Bestandteil bundesdeutscher Wirtschaftsgeschichte" wird dem Aufbau seiner verschachtelten GmbH bis hin zu deren Umwandlung in eine AG als Exitstrategie viel Raum gegeben. Für den etappenweisen Verkauf des Konzerns erhielt der ab 1968 in der Schweiz ansässige Horten 1,2 Milliarden D-Mark, die sich später verdreifachten. Der in den Tessin transferierte Erlös blieb aufgrund einer deutschen Gesetzeslücke steuerfrei. Die Diskussion um die legale Steuerflucht wurde Anlass für eine spätere Reform der Außensteuer in der BRD.
Im letzten Drittel porträtiert das Buch Horten als schwerreichen Ruheständler. Seine Schweizer Jahre waren geprägt von exorbitantem Luxusleben mit immer größeren Yachten, Privatjet, RollsRoyce-Autos und Großwildjagd in Kenia, offenbar aber auch vom Aufbau seiner Stiftung zur Förderung medizinischer Forschung. Hinzu kamen politische Kontakte, etwa zum CSU-Duzfreund Franz Josef Strauss sowie zu FDP-Granden, und ebenso viele Querelen mit der Presse. Dabei wechselte er ständig zwischen mondänen Anwesen auf den Bahamas, am Cap d'Antibes und am Wörther See in Österreich. Statt neuer Kaufhäuser sammelte er nun an der Seite seiner 32 Jahre jüngeren Ehefrau Picassobilder und andere teure Kunst, die seit 2022 das von ihr gegründete Wiener Privatmuseum "Heidi Horten Collection" bestücken.
Der Milliardär sei "Repräsentant der Generation Boom" gewesen, so das Fazit der Autoren. Ihr eher weich gezeichneter Rückblick auf dessen großes, ambivalentes Unternehmerleben vermeidet starke Wertungen. "Horten war zeitlebens eine Projektionsfläche für seine Umgebung und den jeweiligen Zeitgeist", heißt es als Resümee. Sein Dasein spiegele jeweils vorherrschende wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Tendenzen seiner Epoche. Und auch die goldene Zeit der großen Kaufhäuser. Nicht zuletzt das macht die Biographie lesenswert. ULLA FÖLSING
Peter Hoeres und Maximilian Kutzner: Der Kaufhauskönig. Helmut Horten - Biografie, Herder, Freiburg 2024, 432 Seiten
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