Vacca Vale ist eine sterbende Stadt in Indiana, die nach dem Weggang des einst erfolgreichen Automobilkonzerns "Zorn" keine Zukunft mehr hat. In Vacca Vale gibt es den sogenannten Kaninchenstall, ein heruntergekommener Wohnkomplex, den vor allem arme, hoffnungslose Seelen ihr Zuhause nennen. Unter anderem die Hauptprotagonistin Blandine Watkins, die Zuflucht in den Schriften der Hildegard von Bingen sucht und mit drei Jungs aus der Fürsorge in einer Wohngemeinschaft lebt. Es werden noch viele weitere Personen beschrieben, die verrückter nicht sein könnten. Die Türen zu den einzelnen Apartments werden geöffnet und der Leser begleitet all diese Bewohner von Geschichte zu Geschichte. Die Charaktere versuchen ihren Weg im Leben zu finden und ein Quäntchen Glück abzugreifen. Die Geschichten werden sehr ausschweifend erzählt, was Tiefe erlaubt, aber oft abdriftet ins Surreale. Die Autorin Tess Gunty ist definitiv ein Ausnahmetalent, weil sie eine komplexe Handlung gut erfassen kann und eine kreative und unterhaltsame Art des Schreibens findet. Die Sätze gleichen oft Kunststücken, die normal beginnen und sich dann immer mehr ins Paradoxe verlieren. Das ist anerkennend gemeint, denn dieser Schreibstil ist ungewöhnlich interessant und sprachlich sehr gut umgesetzt."Sie richtet den Blick auf die Waschmaschinen, hofft offensichtlich auf die Rückkehr zur Standardsituation, die von Fremden in öffentlichen Räumen nicht mehr verlangt als den Austausch von ein paar kleinen Lächeln, um zu signalisieren, dass man sich nicht gegenseitig abstechen will." (Zitat S. 31)Nach anfänglichem inneren Widerstand hat mich der Roman wirklich gepackt und ich habe ihn sehr gerne gelesen. Die Geschichten wirken nach und es dauerte etwas, bis ich mich auf den experimentellen Schreibstil einlassen konnte. Positiv hervorheben möchte ich auch die gute deutsche Übersetzung von Sophie Zeitz und die tollen Zeichnungen, die den Roman gegen Ende abschließen."In der heißen Nacht, als Blandine Watkins in Apartment C4 ihren Körper verlässt, ist sie nicht alles. Nicht ganz. Sie ist nur das Gegenteil von nichts." (Zitat S. 10)