Samuel Finzi ist mir als Schauspieler schon seit den 1990er Jahren bekannt, aber dass er gebürtiger Bulgare und Jude ist und erst 1989 deutsch lernte, das alles war mir völlig unbekannt. Umso interessanter ist es, diesem Mann zuzuhören, der seine Kindheits- und Jugenderlebnisse aus einer Zeit berichtet, in der ich selbst in der DDR lebte und von Bulgarien nur erfuhr, dass es ein sozialistisches Brudervolk sei und am Schwarzen Meer liegt. Die deutschen Urlauber, von denen Finzi im Laufe der Geschichte berichtet, waren wahrscheinlich mehrheitlich BRD-Bürger, für DDR-Bürger gab es einige Hürden, um eine Reise dorthin zu buchen, vom Preis einmal abgesehen.
Samuel wird 1966 in Plowdiw als Sohn eines Schauspielers und einer Pianistin geboren, im sogenannten real existierenden Sozialismus, der auch in Bulgarien propagiert wurde, ist seine Kindheit und Jugend auch von den Privilegien dieser Künstlerfamilie geprägt. Obwohl der Vater ständig Erfindungen macht, die die Lebensqualität steigern sollen, erkennt man aus Finzis Erzählungen, dass es ihm nicht schlecht ging im sozialistischen Bulgarien. Hinzu kommt eine gewisse Freizügigkeit, welches bulgarische Kind konnte damals schon in Paris Ferien machen? Ansonsten sind seine Erlebnisse denen anderer Kinder sicher sehr ähnlich, die Begeisterung für Westmusik und Westfilme war in den 1970er und 1980er Jahren in Bulgarien ebenso heftig, wie ich es aus der DDR kenne, mit dem Unterschied, dass man in der DDR ein ganzes Stück näher am Westen war.
Finzi geht auf drei verschiedene Schulen, macht sein Abitur, möchte in die Schauspielbranche, aber landet zuerst bei der Bulgarischen Volksarmee. Dieser brutale und menschenfeindliche Wehrdienst ist es dann wohl auch, der ihm den letzten Dolchstoß versetzt, Bulgarien wird nicht sein Land bleiben, er will nur noch weg. Dass ihm das nicht leicht wird, liegt in der Natur der Sache, immer den Gedanken im Hinterkopf, dass die Eltern unter einer Flucht zu leiden hätten. Da kommt ihm die Weltgeschichte ein gutes Stück entgegen, die Berliner Mauer fällt und Todor Schiwkow, der bulgarische Staatschef tritt einen Tag später zurück. So kann Finzi seinen Weg nach Deutschland legal und ohne Drangsalierungen gehen. Hier endet Samuels Buch, schade, ich hätte gerne gehört, wie er sich in Deutschland eingelebt und durchgesetzt hat.
Nachdem ich mich an seine Stimme und den scharfen Akzent gewöhnt hatte, gefiel mir das Hörbuch nämlich wirklich gut. Nur manchmal sind mit Finzi die Pferde durchgegangen und er galoppierte wie ein Wilder durch seinen eigenen Text. Offenbar bemerkte er das aber auch, die Geschwindigkeit ging bald wieder auf Normal.
Von mir fünf Sterne und eine Hör- bzw. Leseempfehlung.