Besprechung vom 14.06.2024
Große Worte braucht der politische Tageskampf
Ein liberal-demokratischer Vordenker: Karl Loewensteins "Apologie" von 1932
Weimars in Vergessenheit geratene liberal-demokratische Vordenker sind wiederzuentdecken. Innerhalb der intellektuellen Szenerie und noch mehr unter den Staatsrechtslehrern waren sie nach 1918/19 Außenseiter. Auch in der späteren Rezeptionsgeschichte nahmen sie lange eine marginale Rolle gegenüber den radikalen Widersachern der Republik ein. Deutlich zeigt sich das bis heute an Carl Schmitt, dem der Status eines ideengeschichtlichen Superstars gewiss zu sein scheint.
Es mag dieser sich früh ankündigende Aufmerksamkeitsüberschwang gewesen sein, der Karl Loewenstein dazu motivierte, in seinem Hauptwerk "Verfassungslehre" ebenso wie in seinen erst im letzten Jahr publizierten Memoiren "Des Lebens Überfluß" Schmitt zu ignorieren. In ihm erkannte er einen der geistigen Brandstifter auf dem Weg zur NS-Herrschaft. Kurz vor dem Gang ins amerikanische Exil, wo er in der Politikwissenschaft reüssieren sollte, schrieb Loewenstein im Herbst 1933, der "Gedanke, ein Land und eine Wissenschaft zu verlassen, in der ein Herr Carl Schmitt eine Rolle spielt", habe für ihn immerhin "etwas sehr Tröstliches". Nach 1945 revanchierte sich Loewenstein und sorgte als Berater der amerikanischen Militärregierung für Schmitts Inhaftierung.
In der vom Münsteraner Rechtshistoriker Michael Kubitscheck herausgegebenen, klug eingeleiteten und eingehend kommentierten Schrift "Apologie des liberalen Staatsdenkens" warnte Loewenstein im Jahr 1932 offensiv vor der Zerstörungskraft allzu verbreiteter dezisionistischer und antiliberaler Auffassungen. Die wiederentdeckte Schrift ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zum einen zeigt sie den in München frisch zum Privatdozenten avancierten Juristen, der sich gegen die Mehrheit der professoral arrivierten Demokratieverächter mutig in seiner Zunft positionierte. Zum anderen ist es die Streitschrift eines unaufgeregten Autors, der mit einer Mischung aus Optimismus und Skepsis daran mitwirken wollte, die akut unter Beschuss stehende, aber noch nicht niedergerungene liberale Demokratie zu retten.
Loewensteins Ausführungen zu den beiden Gegenspielern des Liberalismus gleichen bereits einem Totalitarismusansatz: Der Bolschewismus suche die "Freiheit des Einzelnen" dem "Ideal einer besseren Zukunft" zu opfern; der Faschismus profitiere vom Gefühl der "Überbeanspruchung des Einzelnen" und sei Ausdruck einer "pathologischen Ermüdungserscheinung".
So treffend diese Beobachtung war, hielt Loewenstein die rechtsradikale Ideologie ob ihrer Substanzlosigkeit doch nur für ein vorübergehendes Phänomen, das gegenüber dem Liberalismus das Nachsehen habe. Der müsse allerdings öffentlich erkennbarer mit seinen Reizen spielen. Die Ableitung von "libertas" enthalte den verheißungsvollen Gedanken der Freiheit: Umso dringender sei es, vom Gegner zu lernen und "ohne Scheu große Worte und große Begriffe in den Tageskampf" zu tragen.
Geisteshaltungen und der politischen Kultur maß Loewenstein einen hohen Rang bei und warnte vor einem populistischen "Demokratismus der Despotie". Er vertraute nicht auf die bloße Festschreibung von Rechtsnormen, sondern rückte die Kontextbedingungen für ihre Wirksamkeit in den Mittelpunkt. Er, der von Max Weber beeinflusst und mit Thomas Mann befreundet war, appellierte an eine Rechtsmoral, die von überpositiven Maßstäben getragen werden müsse. Erst die "Schwächung und Trübung des rechtsstaatlichen Bewusstseins" habe aus den Weimarer Notstandsregularien eine "große Gefahr" hervorgehen lassen und der Diktatur ein "legales Entrée" eröffnet.
Loewenstein war ein pragmatischer Geist, der an die Anpassungsfähigkeit des parlamentarisch-demokratischen Systems glaubte, das der beste Garant für "vernunftgemäße Lösungen" sei. Auf Selbstheilungskräfte allein wollte er allerdings nicht vertrauen. Der spätere Vater einer "militant democracy" wird bereits in der frühen Schrift erkennbar. Er wollte liberal-demokratische Errungenschaften durch institutionelle und prozedurale Reformen aktiv bewahren helfen. Konkret schwebten ihm die Abschaffung der Verhältniswahl, eine öffentliche Kandidatenkür innerhalb der Parteien und ein System staatlich approbierter Parteien entlang der großen politischen Grundströmungen unter Zurückdrängung der Extreme vor.
Diese Gedanken waren kreativ, wirkten in Teilen aber noch nicht zu Ende gedacht. Loewenstein war sich dessen bewusst, weshalb er die Veröffentlichung der Schrift 1932 immer wieder hinauszögerte, bis sie nicht mehr erscheinen konnte. Ihr Titel spielt auf Platons "Apologie des Sokrates" an. Wie diese ist sie, wenngleich kein vor Tod und Untergang bewahrendes Elixier, ein bleibendes Zeugnis des besseren Arguments, das ihr Autor noch in der größten Krise aufrechterhielt. ALEXANDER GALLUS
Karl Loewenstein: "Apologie des liberalen Staatsdenkens".
Hrsg. von Michael Kubitscheck. Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2024. 114 S.,
br.
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