Wer ist schlauer, Mensch oder Maschine? Mathematik-Professor Christian Hesse bringt uns die faszinierende Welt der Zahlen näher.
Kann künstliche Intelligenz auch Humor kalkulieren? Und wer ist besser, wenn es um die kreative Lösung mathematischer Probleme geht, Mensch oder Maschine? Mathematikprofessor und Zahlenverehrer Christian Hesse zeigt in seinem neuen Buch, wie sehr Mathematik unsere Welt bestimmt. Vom alten Babylon bis heute funktioniert ohne Algorithmen gar nichts und auch die Zukunft der Künstlichen Intelligenz wird von der Mathematik bestimmt. Hesse zeigt anhand überraschender Mathematikphänomene unterhaltsam und zugänglich, wie die Gleichungen funktionieren, die unseren Alltag bestimmen. Ein Buch zum Staunen, Lachen und Mitknobeln, das selbst Mathemuffel in den Bann ziehen wird.
Auf den Spuren der Mathematik
Wussten Sie beispielsweise, dass Ameisen den kürzesten Weg zum Futter über Pheromonspuren miteinander teilen, die sich in Algorithmen ausdrücken lassen? Diese kleinen Tiere sind so mathematikdurchdrungen, dass sich mit den Gleichungen hinter ihrem Verhalten sogar Logikrätsel lösen lassen. Egal ob im bei Rätseln im alten Babylon, bei der Bestimmung der Kreiszahl PI, oder beim Maschinenlernen - ohne Mathematik funktioniert unsere Welt nicht.
Das große Knobeln: Menschliche Kreativität gegen algorithmische Präzision
Hesse entführt die Leser*innen in die unendlichen Weiten der Variablen, Vektoren und Matrizen, lädt zum Knobeln ein und zeigt, wo die menschliche Intelligenz am Ende doch die maschinelle austrickst. Ein Buch zum Staunen, Lachen und Miträtseln.
Besprechung vom 12.10.2024
Die Macht der Zahlen
Her mit den teuren Kartoffeln: Christian Hesse illustriert, wie die Mathematik unseren Alltag formt.
Von Alexander Armbruster
Von Alexander Armbruster
Schon mal was von Frank Rosenblatt gehört? Der amerikanische Psychologe und Informatiker erdachte in den Fünfzigerjahren ein Computerprogramm, mit dem er eine Gehirnzelle funktional nachbilden wollte. Sein künstliches Neuron sollte bestimmte Eingangswerte aufnehmen, verarbeiten und dann einen daraus ermitteltes Ergebnis weitergeben können. Konsequenterweise nannte er seine Idee "Perzeptron".
Das war noch weit entfernt von den riesigen künstlichen neuronalen Netzen, auf denen die gegenwärtig angesagten KI-Sprachmodelle à la ChatGPT basieren. Es war allerdings einer der ersten Versuche, eine Künstliche Intelligenz zu konstruieren, die sich an der Idee orientiert, nicht über fest einprogrammiertes Wissen kompetent zu werden, sondern durch einen irgendwie gearteten Lernprozess. Die "New York Times" verstieg sich damals sogar zu der Schlagzeile, dabei handle es sich um einen "Computer-Embryo". Es ist verblüffend, wie sich mittels Mathematik lernende KI-Systeme entwickeln lassen mit den Fähigkeiten, über die sie heute eben verfügen.
Christian Hesse erklärt nicht nur, was hinter dieser Schlüsseltechnologie steckt. Der deutsche Mathematikprofessor hat mit "Von Zahlen, Menschen und Maschinen" ein ebenso unterhaltsames wie lehrreiches Buch geschrieben. Er erläutert in vielen, historisch teils weit zurückreichenden Anekdoten, wie Mathematik Alltag und Zusammenleben organisiert und ermöglicht. Er macht beispielsweise bekannt mit dem frühmittelalterlichen persischen Wissenschaftler Musa Al-Chwarizmi, dessen Name der Ursprung des Wortes "Algorithmus" ist. Er erzählt von der zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts geborenen Mathematikerin Augusta Ada Byron, die unter dem Namen Ada Lovelace in die Informatikgeschichte eingegangen ist. Er schreibt über den Ökonomen Sir Robert Giffen, Jahrgang 1837, der sich mit der Frage befasste, warum gerade ärmere irische Haushalte mehr teurer gewordene Kartoffeln kauften - und damit jenes Phänomen einkreiste, das als "Giffen-Paradoxon" in Standardlehrbüchern über Volkswirtschaftslehre zu finden ist.
Ausführlich geht Hesse auf jene Algorithmen ein, die gegenwärtig grundlegend für das Internet sind. Was das Besondere des Page-Rank-Algorithmus ist, den die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin ersannen, und worauf dieser mathematisch fußt, schildert er gut nachvollziehbar. Zur Erinnerung: Der Algorithmus hat die Internetsuche revolutioniert, weil Nutzer schnell für sie relevante Webseiten fanden und sich zudem ein nachhaltiges Geschäftsmodell damit verband.
Weniger bekannt als Page und Brin sind Ronald R. Rivest, Adi Shamir und Leonard Adleman. Das sagt gleichwohl nichts über ihre Bedeutung, haben sie doch den Mechanismus erfunden, mit dem heute Daten verschlüsselt werden und der, angelehnt an ihre Nachnamen, unter der Bezeichnung RSA-Verfahren firmiert. Hesse erinnert an den niederländischen Informatiker Edsger Dijkstra und daran, was dieser mit Google Maps zu tun hat, an Herman Holleriths Verdienste um das schnelle Sortieren und daran, dass auch hinter der Datenkompression eine interessante mathematische Idee steckt. Ohne die Mathematik gäbe es die auf der Verarbeitung enormer Datenmengen beruhende Gegenwart schlicht nicht.
Hesse, der schon mehrere Bücher über Mathematik geschrieben hat, vermittelt ein weiteres Mal, dass das Rechnen keine spaßbefreite Tätigkeit sein muss. Er nimmt dem zaghaften Leser manche Angst vor Zahlen oder Formeln, setzt aber auch voraus, das die Erinnerung an den Mathe-Oberstufenunterricht nicht gänzlich verblasst ist.
Christian Hesse: "Von Zahlen, Menschen und Maschinen". Die Geheimnisse der Mathematik von Pythagoras bis zum Quantencomputer.
Droemer Verlag, München 2024. 224 S., br.
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