Stefan Zweig . Die großen Erzählungen
Despektierlich: Den Zweig haben sicherlich viele noch von der Schullektüre der Schachnovelle in Erinnerung.
Da ich in irgendeinem Zusammenhang noch einmal auf den Autoren stieß und die genannte Erzählung in zwar etwas verschütteter aber guter Erinnerung hatte, habe ich noch einmal herausfinden wollen, was es mit dem Schriftsteller Zweig auf sich hat, was der kann, ob man den heute noch lesen kann und/oder soll.
In einem Kompromiss zwischen angebotenem Gesamtwerk, was immer etwas erschlagend ist und ratlos wo denn zu beginnen sei, gekauft liegen bleibt sowie vielen einzelnen Novellen, habe ich mal dieses Buch mit mehreren Erzählungen, scheinbar mehr oder weniger repräsentativ fürs Werk, gewählt.
Die Erzählungen sind grob ca. 110 bis 80 Jahre alt (erschienen zwischen 1913 und 1942), der Sprache mag man das auf angenehme Art anmerken, dem Rest eigentlich kaum. Gerade was das Innenleben der Figuren betrifft, so sind deren Schicksale einem trotz der komplett anderen Welt, in der wir leben, nah, in den besten Momenten ist das berührend und von einer tiefen Menschlichkeit.
Die Relevanz und universelle Bedeutung solcher Geschichten auch für die Leser*innen selbst und auch heute noch, ist dabei jederzeit spürbar, auch wenn sich die gesellschaftlichen Umstände deutlich gewandelt haben.
Das Ganze ist sprachlich wie inhaltlich sicherlich etwas... kleinteilig, das heißt, daß Gedankengänge und Gefühle auch mal verfolgt und verästelt werden, das ist aber gerade so schön, nicht künstlich aufgeregt oder voller rasant visualisierter Schnitte und Inszenierung. Dabei ist es nicht so, daß auf der Handlungsebene nicht viel passierte, ich empfand das sogar die meiste Zeit als sehr dicht und spannend. Zusätzlich enden die Geschichten mehrfach tragisch, die Charaktere werden in existenziellen Krisen geschildert, wenn man sich hierauf einläßt ist das geradezu herzzerreißend.
Eins der schwierigsten Themen bei Literatur anderer Jahrhunderte oder schon Jahrzehnte... ich weiß: auch heute, ist bekanntlich die Darstellung des Geschlechterverhältnisses, ein Rollenverständnis aus der Vergangenheit: Im Hinblick auf die Rollenbilder von Frau und Mann gelesen, offenbart das Buch selbstverständlich eine Sichtweise des letzten Jahrhunderts. In meinem Empfinden muß das aber nicht vom Lesen abhalten und mag sogar nicht unangenehm sein, gerade gemessen an dem damals zeitgenössischen Geschlechterbild. Zwar läßt sich in einigen Geschichten, wenn man möchte, durchaus das Thema der Damsell in Distress , des Fräulein in Nöten, finden, das vom Mann gerettet werden muß/will, allerdings erscheinen mir die Frauenfiguren in den Geschichten aktiv und selbständig, aktiver und selbstbestimmter häufig als die Männerfiguren, die beinahe schon antriebslos oder getrieben und unreflektiert wirken. Ehrlich gesagt, ich persönlich empfinde in den Novellen, die von Frau und Mann handeln, die Frauen durchgängig als die interessanteren Charaktere. Da finde ich in aktuellen Büchern viel schlimmere, ob der angeblichen Modernität viel erschreckendere Beispiele.
Und auch die Schachnovelle, wohl die letzte vollendete Novelle Zweigs vor seinem Suizid, hat meiner Meinung nach vor der Zeit bestanden, gefiel mir heute noch deutlich besser als als Schullektüre.
Ergänzt wird das Buch noch von Informationen zu den einzelnen Geschichten und zum Autor.
Am Ende war ich glücklich über diese Leseerfahrung, mehr kann man kaum erwarten von sieben Geschichten auf ca. 240 Seiten. Ich habe das als große schriftstellerische Kunst empfunden und behaupte, um die Eingangsfragen zu beantworten, wobei ich mir wirklich keine Expertise anmaßen möchte, sondern voller Respekt: Der Zweig kann eine ganze Menge, ja, den kann und soll man auch heute noch lesen!
Wie in der Musik geht bei den Büchern manches alte Hervorragende unter der Flut dauernder Neuveröffentlichungen unter und gerät etwas in den Hintergrund, aber glücklicherweise liegt es für uns weiter bereit und ist auch mal deutlich beglückender als aktuelle Bestseller .