Eine raffiniert erzählte Dystopie über die Folgen des Klimawandels, ein Krimi um ein dunkles Familiengeheimnis und die Geschichte einer jungen Frau, die auf der Suche nach ihrer wahren Identität ist.
Mexico City im Jahr 2030: Die junge Physikerin Karina, die an einer Quantentheorie der Schwerkraft arbeitet, kümmert sich um ihre demente Großmutter, als diese ihr eines Nachts ein beunruhigendes Geheimnis anvertraut. Es hat mit dem Tod von Karinas Eltern zu tun, achtzehn Jahre zuvor.
Kurz danach bricht im nahegelegenen Park Chapultepec ein Brand aus. Ein riesiger Zoo und ein Friedhof befinden sich hier, Karinas Eltern sind an diesem Ort begraben. Die Tiere sterben oder fliehen, der Park wird völlig zerstört. Mit Hilfe des Friedhofswärters Silverio wird Karina der Wahrheit hinter dieser Katastrophe auf den Grund gehen.
In diesem packenden Roman bewegt sich die Zeit vor und zurück, dehnt sich aus und zieht sich zusammen. Im Zentrum steht ein Rätsel, um das die grundlegenden Themen unserer Zeit kreisen: Umweltkrise, Familienkonflikte, Sucht, Fanatismus und die Beziehung des Menschen zu anderen Wesen unseres Planeten.
Besprechung vom 01.04.2025
Gefahren einer Exhumierung
Naturwissenschaftsroman im Science-Fiction-Gestus: "Diese brennende Leere" von Jorge Comensal
Karina ist eine fünfundzwanzigjährige Physikerin und arbeitet an einer Promotion zu einer allgemeinen Quantentheorie der Schwerkraft. Sie ist Waise und lebt mit ihrer neunzigjährigen Großmutter Rebeca zusammen, die sie auch pflegt. Der Erzähler lässt uns wissen, dass sich ihre Freundin Mila in sie verliebte, Kiras bester Freund hingegen sei schon seit frühen Tagen der Elektromagnetismus gewesen, menschliche Beziehungen sind nicht ihre Stärke.
Aber nicht nur Karina, auch der Erzähler dieses Romans denkt immer wieder in physikalischen oder naturwissenschaftlichen Kategorien. Etwa, wenn er beschreibt, wie Karina die alkoholisierte Rebeca vom Boden aufs Bett zu hieven sucht: "Die Leere ist nicht fügsam. Sie widersetzt sich den Körpern, die sie durchdringen. Darum verdichten und verflüchtigen sich die Galaxien, darum weigert sich die der Gravitation unterworfene Masse ihrer Großmutter, den Boden zu verlassen." Karina lässt dabei eine Bemerkung von Rebeca aufhorchen: Sie will nun dem Geheimnis ihrer vor achtzehn Jahren gewaltsam gestorbenen Eltern auf die Spur kommen, da Rebecas Auskunft, es handele sich um einen tragischen Unfalltod, offenbar nicht stimmt. Warum gibt es keine Fotos ihrer Mutter?
Die Erzählung der kriminalistischen Aufklärung dieses Rätsels durch Karina wechselt sich in diesem Roman kapitelweise ab mit der Geschichte von Silverio, der als Friedhofswächter am Panteón Civil de Dolores, dem gigantischen Friedhof von Mexico City, arbeitet, wo auch die sterblichen Überreste von Karinas Eltern begraben liegen. Von ihr erhält er schließlich den Auftrag, diese zu exhumieren, ausgerechnet am Día de los Muertos - wobei er dabei selbst fast lebendig begraben wird. Auf diese Weise verbinden sich also die beiden Erzählstränge, und auch wenn Silverio aus einer niedrigeren sozialen Klasse kommt, so verbindet ihn mit Karina eine Wissbegierde, die sich in seinem Fall mehr auf die Zoologie und die am Pantheon verewigten Helden der mexikanischen Nationalgeschichte richtet. Im Park Chapultepec wird nicht nur der Friedhof, sondern auch der dort gelegene Zoo durch ein Großfeuer zerstört, was zu Protesten für Tierrechte führt, bevor der Zoo dann wieder neu errichtet wird, mit Tieren, die ausschließlich aus anderen Zoos stammen. Bei Karinas Wanderung durch den neuen Zoo wechselt sich die Kritik an der Gefangenschaft ab mit Visionen eines epischen Parcours durch geographische Großareale: "Karina verlässt Afrika und durchquert die Sinai-Wüste."
Wir befinden uns im Jahr 2030 - dieser leichte Science-Fiction-Gestus dient dem mexikanischen Autor Jorge Comensal (Jahrgang 1987) in seinem zweiten Roman (nach dem Debüt "Verwandlungen" von 2019) als Vorwand für einige Verfremdungen, als Antizipation einer verschärften klimatischen Krise, die freilich bereits unsere Gegenwart ist. Der kolportagehafte Plot um die gestorbenen Eltern Karinas wirkt reichlich konstruiert, auch wenn es dabei offenbar um die emotionale "Leere" Karinas gehen soll. Auch tendiert der humoristische Grundton gelegentlich ins allzu Flapsige, so wenn es über eine Begegnung Silverios mit seiner Tochter Daenerys, einer vegetarischen Umweltaktivistin, die er aufgrund der Scheidung von seiner Frau lange nicht gesehen hat und die sich nun um die gestorbenen Tiere besorgt, etwa heißt: "Ihr Ausflug war in der Kategorie schlechtestes Vater-Tochter-Wiedersehen für den Oscar nominiert."
Durchaus interessant ist die generelle Absicht, mit der Form des Romans zu experimentieren: Immer wieder lenken kleinere Exkurse von der eigentlichen Handlung ab, Verdrehungen in der zeitlichen Chronologie erzeugen eine eigene Art von Spannung, die Charaktere verlieren sich in skurrilen Visionen, und der Erzähler flicht ständig Bemerkungen ein zu Biodiversität und Klimawandel, zu Meteorologie, Medizin, Astronomie. Und immer wieder geht es um Tiere: Emus und Entenmuscheln, Giraffen und Nacktschnecken.
Jorge Comensal ist nicht nur Romanautor, sondern er hat sich auch einen Namen als Wissenschaftsjournalist gemacht. Die Idee, naturwissenschaftliche Theorien nicht nur thematisch in den Roman aufzunehmen, sondern dadurch auch die erzählerische Form selbst affizieren zu lassen, teilt Comensal mit anderen lateinamerikanischen Autoren der Gegenwart wie Lina Meruane ("Nervensystem", 2018) oder Benjamín Labatut ("Das blinde Licht", 2020). Bei Comensal jedoch haben die ständig eingestreuten naturwissenschaftlichen Referenzen oft etwas Beliebiges, und nicht nur Karina wird als ein Nerd charakterisiert (auf dem Wiener Zentralfriedhof besucht sie das Grab des Physikers Ludwig Boltzmann), auch Daenerys "war fasziniert vom Konzept der lebenden Fossilien, von Spezies, die über enorme Zeitspannen und trotz aller Katastrophen unverändert blieben". Ihr Vater Silverio wiederum informiert sich auf Google über die Langlebigkeit von Silberfischchen: "Silberfischen konnten vier Jahre alt werden und eines davon ganz ohne Nahrung auskommen." Und die den neu errichteten Zoo durchwandernde Karina stellt ihrerseits "Nachforschungen" zur evolutionären Flugunfähigkeit von Emus an.
Es drängt sich der Eindruck auf, dass der Autor hier alle möglichen physikalischen und zoologischen faits divers einfach seinen Figuren zugeordnet hat. Ist das nun alles Parodie, oder steckt doch eine ernsthafte Absicht hinter dem dystopischen Szenario und den wissenschaftlichen Infohäppchen?
Die skurrilen, komischen Szenen erinnern an den Stil der Romane eines anderen mexikanischen Autors, Juan Pablo Villalobos. Auch wenn Jorge Comensal einige in der Tat komische Szenen gelingen, die Aufklärung von Geheimnissen clever konstruiert und agil erzählt ist, so wirkt die Mischung aus Krimi und Klimakrise, gestörten Familienbeziehungen und zoologischen Exkursen letztlich doch etwas forciert und unausgegoren. JOBST WELGE
Jorge Comensal: "Diese brennende Leere". Roman.
Aus dem Spanischen von Friederike von Criegern. Rowohlt Verlag,
Hamburg 2025.
416 S., geb.
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