Die schönste Überraschung dieser Saison - der berührende Coming-of-Age-Roman des Fußballweltmeisters
Der wärmste Sommer aller Zeiten, die erste große Liebe, eine Nacht, die alles verändert. Christoph Kramers Roman ist eine so persönliche wie berührende Geschichte über das Fünfzehnsein und die Momentaufnahme einer Zeit, in der alles noch so einfach schien. Erzählt mit ganz viel Herz und einem unwahrscheinlichen Gespür für die kleinen Dinge, die im Leben einfach alles bedeuten.
Es ist der Sommer 2006, ein Hitzerekord jagt den nächsten, die Fußballweltmeisterschaft verändert das Land - und für den 15-jährigen Chris verändert sich gerade das ganze Leben. Er verbringt die Abende mit seinen Freunden auf dem Dach der alten Scheune und verschläft die heißen Tage im Freibad. Er will Fußballprofi werden, aber vor allem will er eins: endlich cool sein. Chris ist ein Teenager wie jeder andere auch, auf der Suche nach sich selbst. Dann passiert das Unfassbare. Debbie, das schönste Mädchen der Schule, interessiert sich ausgerechnet für ihn. Es beginnt eine emotionale Achterbahnfahrt, bei der Chris alles wagt und doch nie vergisst, was wirklich wichtig ist: Freundschaft und die Gewissheit, wirklich gelebt zu haben. Ein nächtlicher Roadtrip mit seinem besten Freund ist da ein guter Anfang . . .
Christoph Kramers Debüt katapultiert uns zurück in die Zeit im Leben, in der alles möglich schien und in der das größte Glück und die größte Verzweiflung ganz nah beieinanderlagen. Eine wunderbar melancholische Hommage an den Zauber aller Anfänge, die Magie der ersten Liebe und nicht zuletzt an die Freundschaft - die Geschichte eines Sommers, den man nie mehr vergisst.
Besprechung vom 23.03.2025
Schon irgendwie gewinnen
Kaum jemand kann Fußball so gut erklären wie der ehemalige Profi Christoph Kramer. Nun hat er einen Coming-of-Age-Roman geschrieben. Was will er damit?
Von Christopher Meltzer
Als Fußballspieler hat Christoph Kramer aus Solingen schon für kleinere und größere Sensationen gesorgt. Er hat den Ball in einem Bundesligaspiel aus mehr als 40 Metern ins Tor geschossen, was deswegen sensationell war, weil es das eigene Tor war. Er hat den Schiedsrichter im Finale der Weltmeisterschaft gefragt, ob das gerade wirklich das Finale der Weltmeisterschaft sei, woraufhin er ausgewechselt wurde. Doch die größte Sensation ist ihm nicht als Fußballspieler, sondern als Fußballexperte gelungen: Er hat es geschafft, dass man Per Mertesacker manchmal lustig findet.
Im September 2020 setzte das ZDF Mertesacker, der sechs Sommer zuvor mit Kramer in der deutschen Weltmeistermannschaft spielte, das erste Mal als Experten in einer Fußballübertragung ein. Doch dass dieser Mertesacker zur Elite seines Sports zählte, merkte man erst mal nicht an seinen weisen Analysen, sondern nur an seinen weißen Sneakern. Bis der Sender ihn dann mit Kramer ins Studio schickte. Und spätestens im vergangenen Sommer sah man während der Europameisterschaft den Kramer-Effekt: An der Seite seines selbstsicheren, auf alle ausstrahlenden Kollegen plauderte Mertesacker auf einmal so locker und lässig mit, als wäre er - Schenkelklopfer für ZDF-Ultras - vor den Sendungen immer in der Eistonne gewesen.
Es geht in der Geschichte über Christoph Kramers Schaffen daher mittlerweile nicht mehr nur um das Spiel mit dem Ball, sondern um das Spiel mit der Sprache. Es geht darum, wie er spricht, wie er schreibt, wie er wirkt. Und weil ihm Wörter und ihre Bedeutung wichtig sind, kann man als Beobachter des Fußballs schon mit einer einzigen Differenzierung klarmachen, was ihn von Per und fast allen anderen seiner Peers unterscheidet: Mertesacker mag manchmal lustig sein, aber Christoph Kramer ist witzig.
An einem Donnerstagmittag im Januar kommt Kramer, Jahrgang 1991, in einen Konferenzraum des Verlages Kiepenheuer & Witsch in Köln. Auf dem Tisch liegt sein erstes Buch, das anders ist als die ersten Bücher, die Fußballspieler sonst so schreiben lassen. Weil er es wirklich selbst geschrieben hat. Weil es nicht "Christoph Kramer - Mein Leben" oder "Christoph Kramer - Mein Sommer" heißt, sondern "Das Leben fing im Sommer an". Weil es nicht um das erste Tor geht, sondern um den ersten Kuss. Und weil sein Gesicht nicht groß auf die Titelseite gedruckt wurde, sondern nur groß auf die Rückseite. Er wird später sagen, dass dieser Roman ein "Lifegoal" war. Und er wird später witzeln, dass diesem eigentlich nur noch der "Spiegel-Bestsellersticker" fehle. Doch weil er an diesem Mittag trotz aller Selbstsicherheit noch nicht weiß, wie sein Buch ankommen wird, setzt er sich an den Tisch und fragt ganz ohne Witz: Wie findest du es denn?
Die erste, eher defensive Antwort ist, dass er als Autor nicht sofort in einer Liga mit, na ja, sagen wir, Clemens Meyer spiele. Mit wem? So fängt das Gespräch mit dem, davon darf man ausgehen, kommenden Bestseller-Autor Christoph Kramer mit einer kurzen Diskussion über den Bestseller-Autor Clemens Meyer an.
Man muss den meisten Autorinnen und Autoren in Deutschland wohl kaum sagen, wer Christoph Kramer ist. Er hat 271 Bundesligaspiele gemacht, aber sein Stern ging auf, als er im Finale der Weltmeisterschaft wegen eines Schulterchecks früh Sternchen sah. So wurde er Christoph Kramer, der Weltmeister, der sich nicht erinnern kann. Eine gute Story, die er gut erzählte, weswegen sich das Fernsehen danach für ihn interessierte. Seit dem Sommer 2018 war er dann Fußballspieler und Fußballexperte, seit dem Sommer 2024 nur noch Experte, weil er sich als Spieler nach der Auflösung seines Vertrages in Mönchengladbach zwar einen neuen Verein gewünscht, aber erst einmal nur einen Verlag gefunden hat. Er hatte sich, als er schon merkte, dass seine Geschichte als Spieler dort enden würde, einfach mal hingesetzt, seinen Laptop aufgeklappt und angefangen, eine andere Geschichte zu schreiben, mit der er dann fast Abend für Abend zwei, drei Stunden aus der Wirklichkeit fliehen konnte. Bis das Buch, bis die Schriftstellerei seine Wirklichkeit wurde. Und wenn er, der Mannschaftssportler, nun erstmals als Solokünstler auftritt, kann man in dieser Geschichte über ihn zu der Erkenntnis kommen, dass er mit der Sprache ein Star geworden ist, der er nur mit dem Ball nie hätte werden können.
Doch wie gut ist seine Sprache, wie gut ist sein Buch? Dazu gleich.
Davor zurück zu seinem Witz, weil der entscheidend zu sein scheint. Er selbst sagt es so: "Ich glaube schon, dass ich eine gewisse Schlagfertigkeit habe. Ich konnte mich in meinem Leben immer drauf verlassen, dass ich mich gut aus Sachen rausreden konnte. Ist das Talent? Weiß ich nicht. Ich war nie jemand, der auf den Mund gefallen ist, aber deutlich schüchterner als mein Vater, der ist ein richtiger Redner, ein Entertainer. Ich war in der Schule auch ab und zu Klassenclown, aber ich konnte immer beides: erste Reihe, aber auch letzte Reihe."
Es ist dieser letzte Satz, der seinen Erfolg ganz gut erklärt. Er kann beides. Er kann ZDF, aber auch Instagram, er kann "Bild"-Zeitung, aber auch "11Freunde"-Magazin, er kann Fußballkabine, aber auch Literaturhaus, wie sich in diesen Wochen sehr wahrscheinlich zeigen wird. Aber was will er mit einem Roman, einem Coming-of-Age-Roman?
In dem Konferenzraum in Köln sagt Christoph Kramer: "Ich möchte mit dem Buch erreichen, dass jeder sich in seine Jugend zurückversetzen und sagen kann: Ja, das war schon schön damals."
Damals, das ist in seinem Buch der Sommer 2006 in Solingen. Man durchlebt mit dem Helden, der Chris Kramer heißt, drei Tage der Sommerferien. Schon auf den ersten Seiten erfährt man, dass er, der 15 Jahre alt ist und Fußballprofi werden will, in der nächsten Saison nicht mehr in der Fußballakademie Bayer Leverkusens wird spielen dürfen. Das ist Christoph Kramer auch in Wirklichkeit passiert. Und das wiederum ist der Grund, warum ihm ein Roman gelungen ist, der ihm, wenn er nur zehn Jahre später geboren worden wäre, ziemlich sicher nicht mehr hätte gelingen können. Er ist noch nicht in einem der sogenannten Nachwuchsleistungszentren gewesen, in denen man als Fußballtalent schon früh auf einem fernen Planeten lebt. Er hat erlebt, was viele Jungs erlebt haben, die in den 2000er-Jahren in Deutschland aufgewachsen sind. Capri-Sonne und Center Shocks, "Bravo Sport" und Yu-Gi-Oh, dazu ICQ schreiben mit den Mädchen aus der Schule mit ganz viel HDL und HDGDL. Das Letzte ist das Wichtigste. Auch für Chris Kramer, der Akne hat und auch sonst noch nicht so instagramable ist wie Christoph Kramer heute. Er schafft es aber, dass er und Debbie, das schönste Mädchen der Schule, sich am ersten Ferientag auf einer Party näherkommen und dann diesen Dialog führen:
"Chris, ich mag dich irgendwie."
"Irgendwie . . ."
"Ja, irgendwie."
"Ich dich auch irgendwie und auch ohne irgendwie."
Irgendwie schön, oder?
In den beiden darauffolgenden Tagen geht's dann um die Gefühle, die an dem ersten Abend in ihm ausgelöst worden sind und die - das erinnert an die immer gleichen Floskeln des Fußballs - mit dem Bild einer Achterbahn beschrieben werden ("Debbie hatte mich mitgenommen. Auf eine Achterbahnfahrt. Und immer, wenn man denkt, das Kribbeln im Bauch hört gleich auf, beschleunigt die Bahn erneut."). Er wird geküsst, er wird gekränkt, er wird wütend. Mit der Wut wird's interessant, mit der Art und Weise, wie er mit ihr umgeht, wie er sie umwandelt, noch interessanter. Weil sie in dem Buch dafür sorgt, dass Chris Kramer sich spätabends in ein Auto setzt, den Motor anschaltet und losfährt. Und weil sie in Wirklichkeit dafür gesorgt hat, dass Christoph Kramer Weltmeister geworden ist.
Aber ist das Buch auch gut geworden? Gleich.
Davor zu seiner Sprache und zur Frage, ob und wie diese sich durch den Fußball verändert hat. Wer schon mal Woche für Woche in der Kabine einer Männermannschaft war, egal, ob Bundes- oder Kreisliga, der weiß, dass die Sprache eine eigene ist. Man spricht dort eher so wie Salvo, der in dem Buch (und in der Wirklichkeit) einer von Kramers besten Kumpels ist und ständig "Ja, Dings" oder "Ey, Dings" sagt. In dem Konferenzraum in Köln sagt Kramer dazu: "Salvo sagt heute zu mir noch: 'Ey, Bruder!' Bei mir hört sich das nicht cool an, ich kann nicht sagen: 'Bruder, was ist los mit dir?' Er nennt mich Bruder, ich fühle auch, dass er mein Bruder ist, aber ich kann's nicht sagen. Ich bin jetzt aber sicher kein Intellektueller, nur weil ich ein Buch geschrieben habe. Ich kann auch anders, ich kann auch primitiv." Erste Reihe, aber auch letzte Reihe.
Dass im Männerfußball oft primitiv gesprochen wird, dürfte auch der Grund dafür sein, dass über den Männerfußball oft primitiv gesprochen wird. Dass die sogenannte Analyse dann schon darin besteht, dass ein Trainer einfach mehr Eier brauche. "Ich könnte", sagt Kramer, "auch auf Einzelne draufhauen, aber das ist nicht mein Stil. Wenn ein Trainer von neun Spielen nur eines gewonnen hat, was soll ich dann sagen? Dass er keinen guten Job gemacht hat? Das ist doch offensichtlich. Ich will erklären, warum eine Mannschaft so spielt, wie sie spielt. Ich will nicht sagen: 'Wir brauchen Eier!' Das kann man sagen, das funktioniert auch. Aber das ist nicht meine Art."
Mit seiner Art hat er erst einmal den Maßstab gesetzt. Im deutschen Fußballmainstream gibt es - mit Ausnahme von Thomas Müller - momentan vermutlich keinen, der das Spiel so gut erklären kann wie Kramer, weil seine Analysen statt des Fehlers des Einzelnen immer den Fehler des Systems in den Mittelpunkt stellen. Fast immer. Wer im vergangenen Sommer die Übertragungen der Europameisterschaft verfolgt hat, wird sich erinnern, dass Kramer auf einen eben schon draufgehauen hat: auf Gareth Southgate, den englischen Nationaltrainer. Und auch wenn man diesen wegen der Spielweise seiner Mannschaft kritisieren konnte, würde Kramer sofort eingestehen, dass er den deutschen Nationaltrainer Julian Nagelsmann nie und nimmer so kritisiert hätte. Warum? Weil er mit Nagelsmann nach dem Spiel in der Sendung spricht. Und weil er diesen davor nicht nur mit einem Handschlag begrüßt, sondern mit einem Bro-Check.
In dem Konferenzraum in Köln sagt Christoph Kramer: "Wenn mir gesagt wird, dass ich zu wenig kritisch bin, ist das für mich vollkommen okay. Ich will keinen Instagram-Kachel-Journalismus machen." Nein, das will er wirklich nicht. Doch selbst wenn man das, was er macht, statt Journalismus einfach Entertainment nennt, muss man dazusagen, dass er sogar für einen Entertainer embedded ist. Stellvertretend dafür stehen seine regelmäßigen Auftritte in dem andienerischen, aber auch erfolgreichen Fußballpodcast "CopaTS", den sein Kumpel Tommi Schmitt moderiert. Die beiden sprechen auch dort keine Bro-Sprache, aber es hat dennoch etwas Bro-haftes, wie Fußballstar und Medienstar sich die Bälle zuspielen, auch über den Podcast hinaus. Das beste Beispiel: die Blurbs auf dem Buch. Der Autor Kramer wollte auch aus Gründen der Glaubwürdigkeit nicht, dass einfach ein euphorischer Satz seines Kumpels Schmitt auf den Umschlag gedruckt wird. Doch wessen Satz wurde es dann? Einer von Felix Lobrecht, dem sehr erfolgreichen Comedian, der kein Kumpel und Podcastpartner von Kramer ist, aber einer von Schmitt.
So ist das in dieser Szene, in der Christoph Kramer noch für keine Sensation, aber schon für Aufsehen gesorgt hat. Er weiß, wie er dort wirkt. Und er weiß, was er auch dort will. "Ich will immer gewinnen. Ich probiere auch alles, damit ich gewinne. Entweder du bist besser, oder du musst andere Wege finden, wie du gewinnen kannst." Mit Blick auf den Fußball war der andere Weg manchmal der Schiedsrichter, den er in einer Situation lobte, damit der die nächste knappe Situation für ihn entscheiden würde. Mit Blick auf das Buch könnte der andere Weg das Cover sein. "Ich weiß genau, dass Leute wie ich, die eher nicht die literarischen Mäuse sind, Bücher nach dem Cover kaufen. Ich finde mein Cover sehr schön." Er lächelt. "Jetzt brauchen wir noch den Spiegel-Bestsellersticker, dann ist das 'ne runde Sache." Er meint das nicht ganz ernst, aber wer zu diesem Zeitpunkt schon knapp eine Stunde mit ihm gesprochen hat, versteht, dass das auch kein Witz ist.
In dem Konferenzraum in Köln sitzt an diesem Mittag neben Kramer und dessen Berater auch eine Mitarbeiterin des Verlages Kiepenheuer & Witsch. Sie koordiniert die vielen Auftritte und Interviews von Kramer. Und man ahnt, was der Verlag sich von seinem neuen Autor verspricht, wenn man weiß, um welche Autorin die Mitarbeiterin sich davor gekümmert hat: Angela Merkel. Doch es wäre schon die nächste Geschichte, wie viel dort gerade in das erste Buch eines Fußballspielers mit hoher Bekannt- und Beliebtheit investiert wird, weil es auch den größten Verlagen immer mehr ums Gewinnen geht.
Nun aber, wie gut ist sein Buch geworden?
Man könnte schreiben, dass es - typisch Fußball, typisch Coming-of-Age - sehr im Superlativ spielt. Man könnte schreiben, dass es in seiner Liga dennoch kein Abstiegskandidat ist. Man könnte schreiben, dass der Sprache des Buches meistens aber irgendwie und auch ohne irgendwie das Besondere fehlt. Man könnte deswegen schreiben, dass es kein Lifegoal und auch kein Osterferiengoal sein muss, dieses Buch zu lesen. Doch es ist, wenn man sich die große Aufmerksamkeit ansieht, wahrscheinlich egal, was man schreibt - weil Christoph Kramer, der in seinem Leben sehr oft gewonnen hat, auch dieses Spiel eigentlich nicht mehr verlieren kann.
Christoph Kramer: "Das Leben fing im Sommer an". Roman. Kiepenheuer & Witsch, 256 Seiten
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