Inhaltsverzeichnis
Besprechung vom 28.03.2025
Das ausgeschlossene Dritte hat doch auch seine Vorteile
Ins Gespräch kommen: Julian Baggini macht sich in seiner globalen Geschichte der Philosophie für nichtwestliche Traditionen stark
Die Erkenntnisse der Philosophie, so will es das Fach selbst, erscheinen als unhistorische Wahrheiten. Sie gelten universell und sind unabhängig von Ort und Zeit. Was in Berlin philosophisch wahr ist, kann in Kalkutta nicht falsch sein. Genau das aber wird vom postkolonialen Diskurs der Gegenwart kritisiert. Die westliche Philosophie, so der Vorwurf, hat mit ihren unhinterfragten Konzepten zum Kolonialismus beigetragen. Anstatt anzuerkennen, dass man auch anders denken kann, dass andere Kulturen anders denken, wurden dem Imperialismus nur philosophische Weihen verliehen. Die Gleichsetzung von Philosophie mit westlichem Denken ist etwas, das man "dekolonisieren" müsse. Wir sollten von nichteuropäischen Kulturen lernen, von indigenen Gesellschaften und anderen ethischen Praktiken. Es gibt ein "anderes Denken", das dem westlichen gleichberechtigt ist, ja, vielleicht sogar überlegen. "Epistemischer Ungehorsam" sei zu leisten, andere Begriffe zu verwenden, die anderen Vorstellungen Raum geben.
Doch welche anderen Begriffe? Und wie verhalten sie sich zu den traditionellen philosophischen Begriffen? Wer hier Orientierung suchte, konnte bislang auf keine Gesamtdarstellung zurückgreifen. Das ist nun anders. Julian Baggini ist promovierter Philosoph, Autor, Journalist und Betreiber der Website microphilosophy.net. Seine 2018 im Original erschienene Geschichte der Philosophie liegt nun flüssig und zuverlässig ins Deutsche übersetzt vor. Er unternimmt darin eine Darstellung philosophischen Denkens, welche auch auf nichtwestliche Traditionen eingeht. Seinen Ansatz nennt er "vergleichende Philosophiegeschichte". Und er geht geschickt vor. Anstatt die Geschichte der Philosophie von den alten Griechen bis heute anhand von Personen zu erzählen, greift er sich wesentliche Konzepte heraus - wie etwa "Einsicht", "Logik", "säkulare Vernunft", "Zeit", "Naturalismus", "Reduktionismus", das "Selbst", "Tugend", "Unparteilichkeit" - und trägt zusammen, was in verschiedenen Kulturen dazu gesagt wurde.
Nichtwestliches Denken nimmt dabei den Großteil der Darstellung ein. Baggini versteht sich als philosophischer Journalist, der die kanonischen Texte gelesen und viele Gespräche mit Spezialisten geführt hat. Das kommt seiner Darstellung zugute, die er mit Anekdoten, aktuellen Bezügen und Eindrücken von seinen zahlreichen Reisen versieht. Der Bogen reicht vom chinesischen, indischen, japanischen Denken über die islamische Philosophie, Ideen der Inuit bis zu indigenen afrikanischen Konzepten.
Bagginis Philosophiebegriff ist eher "familienähnlich" orientiert. Die Abgrenzung zur Theologie, zur Weltanschauung oder allgemein zu einer spezifischen "Kultur" ist nicht strikt. Das ist von Vorteil, weil theologisch grundierte Vorstellungen im nichtwestlichen Denken einen großen Raum einnehmen. Baggini urteilt eher zurückhaltend und bemüht sich, die Positionen ins Gespräch zu bringen. Das gelingt ihm mit einer Darstellung, die auch Laien verstehen können. Neben vielen Unterschieden kann er verblüffende Parallelen zeigen. So lässt sich die buddhistische Vorstellung des "anatta", die ein immaterielles und unteilbares Selbst ablehnt, auch bei David Hume finden, der das Selbst als "Bündel oder Ansammlung verschiedener Wahrnehmungen" versteht. Und die Rolle, welche die Tugendethik bei Aristoteles einnimmt, findet ihren Widerhall bei Konfuzius, der in etwa zur gleichen Zeit lebte.
Wie Baggini überhaupt auf dem Feld der Ethik größere Übereinstimmungen feststellt, als man als moralischer Pessimist zuzugeben geneigt ist. Die schwache Abgrenzung von Philosophie und Theologie hat allerdings auch ihren Preis. Baggini entgeht ein ganz zentraler Antrieb der westlichen Philosophie, nämlich Meinung (doxa) von Wissen (episteme) zu unterscheiden. Die westliche Philosophie ist bemüht, durch Verfahren wie Argumentation, Logik und Rechtfertigungspraktiken Standards zu bestimmen, die sicheres Wissen auszeichnen. Das tut sie auch, um Menschen aus Machtbeziehungen zu befreien und zu mündigen Bürgern zu machen. "Sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen" ist das Motto der Aufklärung, das sich explizit gegen den Anspruch der Theologie wendet. Anstatt Autoritäten zu folgen, sollen Menschen selbst denken - überall auf der Welt.
Deutlich wird das besonders im Fall der Logik. Auch das indische Denken hat unabhängig vom griechischen eine Logik entwickelt. Bagginis Kritik an der westlichen Logik richtet sich darauf, dass sie durch den Satz vom ausgeschlossenen Dritten eine Dichotomie des Entweder-oder fördert, im Unterschied zur östlichen Logik, die viele Abstufungen kenne und zulasse. Was Baggini neben der Ausarbeitung einer dreiwertigen oder mehrwertigen Logik im zwanzigsten Jahrhundert allerdings völlig übersieht, ist die Pointe der westlichen Logik, insbesondere seit Frege: Sie zeigt, dass eine Schlussfolgerung allein aus formalen Gründen richtig ist, völlig unabhängig vom Inhalt der Aussagen. Für das Ziel, gesichertes Wissen zu erlangen, ist das kein unbedeutender Schritt. Und gleichzeitig ein Mittel für jeden, Aussagen selbständig zu prüfen und vermeintlichen Autoritäten entgegenzutreten.
Aber Baggini geht es nicht um einen Wettkampf der Denkweisen, sondern um ein vermittelndes Gespräch. Was man dann für überzeugend hält, ist allerdings eine andere Frage - zu deren Klärung die Philosophie beitragen kann, auch die westliche. ALEXANDER ROESLER
Julian Baggini: "Wie die Welt denkt". Eine globale Geschichte der Philosophie.
Aus dem Englischen von F. Lachmann, K. Schuler und Th. Stauder. C. H. Beck Verlag, München 2025. 442 S., Abb., geb.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.Es wurden noch keine Bewertungen abgegeben. Schreiben Sie die erste Bewertung zu "Wie die Welt denkt" und helfen Sie damit anderen bei der Kaufentscheidung.