Ausgezeichnet mit dem Debütpreis der lit. COLOGNE
Sommer 2011. Klapper ist sechzehn und hat die Sommerferien alleine vor seinem Computer verbracht. Am ersten Schultag kommt plötzlich Bär in seine Klasse - und setzt sich neben ihn. Groß, stark und absolut unbeeindruckt von sozialen Normen, ist sie die Einzige, die Klapper, den blassen Nerd mit langen Haaren und knackenden Gelenken, nicht wie einen Außenseiter behandelt. Und genau wie er liebt sie das Zocken. Klapper merkt immer mehr, dass er sich in Bärs Gegenwart unverwundbar fühlt. Doch während seine Gefühle genau wie ihre Freundschaft wachsen, steuern sie gemeinsam auf den Tag zu, der alles ändert. Die Erinnerungen an Bär und an das, was 2011 geschah, bringen Jahre später Klappers geordnetes Leben aus dem Takt.
Zitroneneistee, Counter-Strike, Kollegah-Punchlines - KLAPPER erzählt von Freundschaft, Verlust, toxischer Männlichkeit und davon, wie anstrengend das Erwachsenwerden zwischen Online- und Offline-Realitäten ist. Eine eindringliche, fesselnde und liebevolle Geschichte über eine lebensverändernde Begegnung.
»Ein absolut überwältigendes Debüt. « Clemens Setz, FAS
»Ein feiner Roman, ein lustiger Roman, der, gerade wenn man glaubt, alles daran verstanden zu haben, noch mal komplett die Richtung wechselt. « Süddeutsche Zeitung
»Kurt Prödels hinreißender Debüt-Roman erzählt von dieser so besonderen Zeit, in der wir uns selbst suchen, um stattdessen dann die Welt zu finden. Und plötzlich ist jemand tot und die Kindheit vorbei - und dass man trotzdem auf jeder Buchseite lachen muss, ist natürlich auch ganz geil. « Benjamin von Stuckrad-Barre
Besprechung vom 23.03.2025
Verstärkung im Leben
Ein Mädchen kommt neu in die Klasse und setzt sich neben Klapper. Sie kommunzieren über Counter-Strike und in Kollegah-Zitaten. Über Kurt Prödels absolut überwältigendes Debüt
Von Clemens J. Setz
Man verzeihe mir, wenn ich mit einer etwas wichtigtuerischen Anekdote beginne. Ich hatte vor Jahren einmal das Vergnügen, mich mit Kurt Prödel zu unterhalten. Da lobte ich seine Twitterpoesie und schwärmte ihm vor, wie extrem super es wäre, wenn einmal ein Buch von ihm erscheinen könnte. Er schien damals von der Idee gar nicht viel zu halten. Aber nun ist genau das passiert, ein Roman ist erschienen (und was für einer!). Und das bestätigt meine quasireligiöse Überzeugung, dass Erzählungen, und gerade lange Erzählungen, so etwas wie ein wesenhaftes Eigenleben führen, zu dessen Entfaltung wir Menschen erst unter den richtigen Bedingungen die Rolle eines geeigneten Wirtskörpers übernehmen. Man denkt jahrelang nicht daran, einen Roman zu schreiben, aber dann, nach Ablauf einer geheimnisvollen Frist, ist es, bumm, plötzlich das Allernaheliegendste. Und so stelle ich mir vor, dass die Geschichte um die rätselbeladene Freundschaft zwischen einem Jungen namens Klapper und einem Mädchen namens Bär für eine lange Zeit im Autor auf den rechten Moment gewartet haben muss, so stark und handwerklich souverän und empathisch ausgereift ist das Ergebnis.
Gut, ich wusste ja bereits, dass Kurt Prödel ein Meister deutschsprachiger Sätze ist. Schon der erste Satz des Buches lautet: "Die Sonne ballert." Bei Samuel Beckett klang das, übrigens ebenfalls in dessen erstem Roman, noch so: "The sun shone, having no alternative, on the nothing new." Daran sieht man, dass es selbst im Bereich der Literatur gelegentlich so etwas wie Fortschritt gibt.
Aber nun zum Buch. Der sechzehnjährige Klapper, der seinen Rufnamen seinem ständig in den Gelenken knackenden, gebrechlich wirkenden Körper zu verdanken hat, ist eine durchaus typische Figur der zeitgenössischen Literatur. Er ist, wie man sagen könnte, eher außenseiterisch veranlagt, verbringt viel Zeit vorm Computer und hat, als er sich vorm Spiegel einmal durchs Haar fährt, plötzlich eine ganze Strähne in der Hand. Die Frühvergreisung junger Menschen scheint eines der vorherrschenden Motive der Literatur unserer Zeit zu sein, ähnlich wie das zweite zentrale Thema des Buches: das Übernehmen der Elternrolle durch junge Menschen, weil die realen Eltern kompetenztechnisch einfach plötzlich zusammenklappen. Teenager müssen Mutter-Vater-Hybridwesen für ihre jüngeren Geschwister abgeben oder einen plötzlich unauffindbaren Elternteil suchen gehen, und oh Gott, wie sehr habe ich meine eigene Kindheit in der Beschreibung dieser Art von Suche wiedererkannt . . .
Jedenfalls erhält Klapper eines Tages unverhoffte Verstärkung im Leben. Ein neues Mädchen kommt in die Klasse. Sie heißt Vivi-Marie, lässt sich aber Bär nennen, was wohl mit ihrer imponierenden Körpergröße und Stärke zu tun hat. Sie setzt sich direkt neben ihn: "Dafür gab es keine rationale Erklärung." Der scheue Junge und die selbstsichere Neulingin freunden sich an, sie verteidigt ihn sogar einmal körperlich gegen übergriffige Schlägertypen. Aber hier das Wohltuende: Die zwei fahren nicht gemeinsam weg, erleben keine coolen Abenteuer. Nein, kein Roadmovie. Was stattdessen geschieht, ist die Entdeckung einer gemeinsamen Sprache.
Diese Sprache setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: Counter-Strike und Kollegah-Lyrics. Durch diese beiden Medien, die traditionell eher nicht als Quellen von Zartheit und scheuer Annäherung gelten, kommunizieren diese eigentlich meilenweit voneinander entfernt existierenden Wesen miteinander. Klapper baut in Counter-Strike seit einiger Zeit seine eigene Schule nach. Dies weckt vielleicht auf den ersten Blick Assoziationen an den Columbine-Attentäter Dylan Klebold, über den ebenfalls erzählt wurde, er habe seine High School als Doom-Level nachgebaut (was allerdings niemals bestätigt werden konnte). Aber Klappers Nachbauprojekt hat gar nichts mit Amoklauf zu tun. Das Level ist, obwohl er das selbst lange gar nicht begreift, für jemanden gemacht. In einer hinreißenden Szene lässt er Bär die Map der nachgebauten Schule durchspielen. Sie schießt liebevoll und beeindruckt auf alle von ihm geschaffenen Oberflächen und Objekte. Schließlich geht sie in der Map genau bis zu dem Platz in ihrem Schulzimmer, wo sie beide nebeneinandersitzen.
Selten begegnet man in einem Debütroman einer Szene, in der mit derart feinem Gespür die Mehrdimensionalität einer Situation festgehalten wird. Jemand sitzt neben dir, kommt dir emotional entweder näher oder rückt von dir ab, das ist noch unklar, und zugleich sind Leute im Stock unter dir im selben Haus mit unklaren Dingen beschäftigt, die das Zusammensein hier im Zimmer in eine eigene Art von gravitationsartiger Fernwirkung einbetten, und dann geschehen auch noch pausenlos die eigenen Gedanken, die den eigenen Interessen und Wünschen entgegenwirken.
Ebenso erstaunlich ist das erschütterungssichere Taktgefühl, mit dem der Autor einen Besuch von Klapper bei seiner in der Klinik aufs medikamentös richtig Eingestelltwerden wartenden Mutter Conny schildert, bei dem die Mutter ihrem Sohn zum sechzehnten Geburtstag gratuliert, was der Situation gemäß zuerst unbeholfen und awkward, aber dann doch alles andere als würdelos abläuft, ja sogar mit sich deutlich übertragendem elterlichen Stolz auf den bald erwachsenen Sohn. So eine Szene mit derart geschmackvoller Zurückhaltung zu erzählen, ohne all die sich aufdrängenden Effekte und Störgeräusche (Psychiatrie!), das verlangt eine Seelenruhe, die nicht viele Erstromanciers besitzen.
Oder denken wir an die wunderbare Szene, in der Bär ihren Geschwistern zum Einschlafen Janoschs Geschichte "Oh, wie schön ist Panama" vorliest (ob sie ihren Spitznamen vielleicht von dem kleinen Bären aus diesem Buch bezogen hat?) und über die angeschwemmte Bretterkiste mit der verheißungsvollen Aufschrift "PANAMA" nachgrübelt, auf die unwiderstehliche Verheißung dieses Zauberwortes. Allein in dem Verweilen auf dieser Kindheitskonstante der meisten deutschsprachig Aufgewachsenen liegt ein Ausdruck solcher Fürsorge, solch bangem Vorausfühlens auf die Welt, die die Geschwister noch nicht ganz kennen, aber vielleicht sehr rasch betreten werden müssen, dass es einem beim Lesen die Schultern ganz eng macht.
Natürlich bedroht die Wirklichkeit, so wie sie das immer macht, die zarte Freundschaft von Klapper und Bär von allen Seiten. Sogar die Map der Schule wird von der Counter-Strike-Community gelangweilt abgelehnt: "Einige gaben der Map gnadenlose null Punkte, und viele waren persönlich enttäuscht von ihm. Sie fragten sich, wie jemand wie er, jemand mit einem Ruf in der Community, der bereits ein paar solide Maps gebaut hatte, so einen Müll abliefern konnte. Seine Schule als Map? Peinlich. Das war so was von 2004 - vielleicht damals nach den Amokläufen an den Schulen noch irgendwie spannend, aber 2011 damit anzukommen? Hängen geblieben. Einer schrieb sogar Datenmüll, und das tat besonders weh."
Schon seit gut zwei Jahrzehnten versuche ich, eine lange Erzählung über die in meiner Jugend zentrale Erfahrung von Ego-Shooter-Spielen zu schreiben. Bei mir wäre es halt Doom und nicht Counter-Strike. Ich hab Tausende Seiten mit Versuchen. Aber jetzt, nach der Lektüre von Klapper, sehe ich: Besser als das, mit mehr Tiefe und verblüffender Frische als hier, kann man dieses Motiv nicht erzählen. Hätte ich dieses Buch doch schon mit fünfundzwanzig lesen können.
Mit jedem Kapitel wird die Geschichte leuchtender und zugleich bedrohlicher, ganz zuletzt kippt das Geschehen sogar ins Tragische, in den unumkehrbaren Verlust eines Menschen, aber die Spannung ergibt sich dabei niemals aus künstlich aufgebauten und ebenso künstlich gleich wieder überwundenen Hindernissen, sondern rein aus der in starksehnig muskelspielender, virtuos durch alle Register springender Sprache festgehaltenen Textur dieses jungen, noch schmerzhaft ungeformten Lebens. Nur eines an dem Buch ist falsch. Tatsächlich nur eine Sache. Der Titel. Das Buch hätte "Bär" heißen müssen. Gab es als Titel vielleicht schon, keine Ahnung. Aber man benennt Bücher doch nicht nach jenem Element der Handlung, das am Ende übrig bleibt. Nein, Literatur ist doch Gespensterkunde. Ihre Sache ist das Unwiederbringliche, so wie Bär, die zwar für immer verloren, aber durch das Buch lebendig und besuchbar bleibt.
Kurt Prödel: "Klapper". Roman. Verlag Ullstein , 256 Seiten
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