Berlin, am 1. Mai 1933: Die junge Schuhverkäuferin Elisabeth ist überzeugt davon, dass Adolf Hitler Deutschlands Rettung in schwierigen Zeiten ist. Beseelt läuft sie durch die wie hypnotisiert wirkenden Menschenmassen und wartet auf die Rede des geliebten Führers. Als sie dann auch noch am selben Tag den SA-Mann Erwin kennenlernt, scheint das Glück perfekt. Doch weder die unverhoffte Schwangerschaft, noch ihre berufliche Karriere laufen wie geplant. In einem Arbeitslager kommen Elisabeth erste Zweifel: Ist der Nationalsozialismus wirklich die Lösung aller Probleme?
"Elisabeth, ein Hitlermädchen" ist nach "Hotel Amerika" der zweite Roman von Maria Leitner, der in der Reihe "Reclams Klassikerinnen" veröffentlicht wurde. Die Erstausgabe erschien 1937 als Fortsetzungsroman in der deutschsprachigen Exilzeitung "Pariser Tagblatt". Der "Roman der deutschen Jugend", so der Untertitel, lässt sich in zwei große Abschnitte unterteilen. Im ersten Teil schildert Leitner episodenhaft den Alltag in den frühen Jahren des Nationalsozialismus und dessen Auswirkungen auf die jungen Menschen. Im zweiten Teil begleiten wir Elisabeth in ein Arbeitslager, in das sie sich mehr oder weniger freiwillig begeben hat, nachdem ihre Arbeit als Schuhverkäuferin einem "verdienten Frontsoldaten" aus dem Ersten Weltkrieg zugesprochen wurde.
Genau wie in ihrem Debüt "Hotel Amerika" berichtet Leitner ausführlich und schonungslos über die prekären Bedingungen der Arbeiterinnen und setzt dabei durchgehend auf eine weibliche Perspektive. Auffallend dabei ist die Empathie für ihre Figuren und für die Jugend im Allgemeinen. Leitner verurteilt insbesondere Elisabeth trotz deren Bekenntnis zum Nationalsozialismus nie, sondern zeichnet sie als ikonische Frauenfigur für das Lebensgefühl der frühen 1930er-Jahre. Umso stärker verurteilt die Autorin das System. Vorbereitende Kriegsübungen mit Gasmasken sind ebenso grauenvoll geschildert wie Elisabeths Aufenthalt in einer klandestinen Abtreibungsklinik. Ganz erstaunlich ist, wie es Maria Leitner gelingt, die Leserschaft für ihre verblendete Antiheldin einzunehmen.
Der zweite Teil des 230 Seiten umfassenden Romans macht noch deutlicher, wie sehr der Nationalsozialismus die "deutsche Jugend" ausnutzte, um sie zu einem gefügigen Rädchen im System zu machen. Die Mädchen im Arbeitslager sind aus ganz unterschiedlichen Gründen dort, viele von ihnen auch zwangsweise. Leitner stellt sich klar auf die Seite der Jugend und greift bei Figuren wie der auffällig böse porträtierten Lageraufseherin Kuczynski auch einmal zum Stilmittel der Überzeichnung. Genau wie in "Hotel Amerika" gibt es eine Schlüsselszene, in der die Figuren aufbegehren und ihre Kraft überhaupt erst aus dem Gemeinschaftssinn ziehen. Eine Szene, die sinnbildlich auch für die politischen Überzeugungen Maria Leitners steht.
Man könnte der Autorin vorwerfen, dass "Elisabeth, ein Hitlermädchen" zu dialoglastig und überhaupt wenig subtil geraten sei. Doch im Kontext der Zeit war kein Platz für Subtilität. Mit erhobenem Zeigefinger und dabei erstaunlich hellsichtig war es Maria Leitner ein Anliegen, die Zeichen der Zeit zu erkennen und gemeinsam mit anderen Schriftstellern und Künstlerinnen aus dem Exil heraus, den Sturz des Nationalsozialismus herbeizuführen, um bald nach Deutschland zurückkehren zu können. So erfahren wir es aus dem informativen Nachwort des Literaturkritikers Philipp Haibach, unter Bezugnahme auf die Recherchen der Autorin Helga W. Schwarz.
Und während Elisabeth auch am Ende des Romans noch immer nach dem Glück sucht, hat Leitner ihres leider nicht mehr gefunden. Beim vergeblichen Warten auf ein Visum für die USA starb die Sozialistin 1942 vereinsamt und vergessen vor einer Psychiatrie in Marseille den Hungertod. Neuveröffentlichungen wie "Elisabeth, ein Hitlermädchen" tragen dazu bei, diese mutige und kluge Frau kein zweites Mal zu vergessen.