Besprechung vom 07.04.2025
Berlin, gar nicht hip
Krimis in Kürze: Streeck, Rademacher und Groschupf
Thrill hat Hendrik Streeck jenseits der akademischen Arena bislang allenfalls auf Pressekonferenzen in den Zeiten der Corona-Pandemie erzeugt. Nun aber treibt es den neben Christian Drosten bekanntesten deutschen Virologen, der auf dem Ticket der CDU im Februar auch in den Bundestag eingezogen ist, in ein Feld, auf dem Inzidenzen und reproduzierbare Testreihen nicht viel besagen. Romane entstehen halt nicht aus Laborversuchen. "Das Institut" (Piper, 432 S., br., 18,- Euro) spielt in Boston. Eine Virologin begeht Suizid. Ein Polizist ermittelt. Ein Virus wurde manipuliert. Eine chinesische Firma mischt mit.
Niemand sollte jetzt an Michael Crichton denken. Streeck erzählt redundant, mit einer sinnlosen Detailversessenheit, die offenbar kein Lektorat bremsen konnte. Die Sprache ist ungelenk, die Dialoge würden Teilnehmer einer Realityshow ablehnen vorzutragen. Spannend ist an dieser Simulation eines Thrillers allein, was den Verlag bewogen hat, daraus ein Buch zu machen.
Wo die Serie um Gereon Rath aufhörte, beginnt der Roman von Cay Rademacher: 1938, in Raths Heimatstadt Köln, auf den Rheinterrassen. Zwei jüdische Gymnasiasten und ihre "arische" Freundin Hilda trotzen den Umständen. "Nacht der Ruinen" (Dumont, 432 S., geb., 24,- Euro) springt aus dem Prolog in den März 1945, an Bord eines US-Bombers, einer "Fliegenden Festung", beim Angriff auf Köln. Der Pilot wird abgeschossen, landet in einer ausgebombten Kirche, wird gelyncht. In diesen Tagen kehrt auch Leutnant Joe Salmon, der Joseph Salomon war und mit seinen Eltern den Nazis entkam, in seine Heimat zurück. Seine offizielle Mission: den Mörder des Piloten zu finden. Seine persönliche Mission: herauszufinden, was aus Jakub und Hilda wurde, den Freunden aus dem Sommer 1938.
Rademachers Schilderungen des zerstörten Kölns haben eine beklemmende Dichte, sie sind topographisch genau, düster anschaulich, ohne fragwürdige Lyrizismen. Wir begegnen in der Trümmerlandschaft alten Nazis, Mitläufern, Entwurzelten und solchen, die wie Fettaugen immer oben schwimmen, aber auch dem Kriegsreporter George Orwell, der Schriftstellerin Irmgard Keun oder Konrad Adenauer. Die Erzählung integriert sie nahtlos in Joes Suche, schlägt zum Ende hin einen melodramatischen Bogen, der an Joseph Kanons "The Good German" erinnert, und gewinnt einem literarisch ziemlich abgegrasten historischen Moment noch neue Facetten ab. Auf mindestens die Hälfte der in die Dialoge eingestreuten "dammit" hätte man gut verzichten können.
Das Berlin von heute, wo es hart, schmuddelig und so gar nicht hip ist; randständige, übersehene Parallelwelten, Milieus für schwierige polizeiliche Ermittlungen - das ist seit "Berlin Prepper" (2019) das Terrain, das Johannes Groschupf immer wieder literarisch zu erschließen versucht. Seine Bücher sind ebenso sehr Kriminalromane, wie sie Elemente einer Gegenwartsdiagnose enthalten. Das gilt auch für "Skin City" (Suhrkamp, 234 S., br., 17,- Euro), in dem es ein Wiedersehen gibt mit Romina Winter, der Polizistin aus einer Roma-Familie, die vor Jahren aus einem rumänischen Dorf nach Neukölln gekommen ist - in Berlin weiß jeder, wer in der Harzer Straße wohnt.
Die Wege der im Zwiespalt mit Herkunft und Beruf lebenden Romina kreuzen sich mit georgischen Profidieben, die Dahlem und Lichterfelde heimsuchen, und mit einem Typen namens Jacques, einem gelernten Ossi, der als Finanzberater wegen krummer Geschäfte in den Knast musste und jetzt als charmanter und unterschwellig gewaltbereiter Kunstberater reüssieren will.
Johannes Groschupf, der als Reisejournalist begonnen hat, versteht es, die verschiedenen Szenerien knapp und pointiert anschaulich werden lassen: eine Laubenkolonie in Birkenhöhe, eine Auktion bei Grisebach, eine Party im Adlon. Er erklärt nicht, er skizziert mit knappen, kräftigen Strichen. Und entwirft Figuren, die nicht ferngesteuert wie das gängige Krimipersonal agieren. Sie tun nicht, was der DIN-Krimiplot vorschreibt, sie sind impulsiv, unberechenbar und treiben damit die Handlung ständig in eine unerwartete Richtung. Und man sieht hier wieder einmal, dass sich auf nur 250 Seiten sehr viel mehr erzählen lässt als in dem langatmigen 400-Seiten-Standardformat - wenn man die Ökonomie des Erzählens beherrscht. PETER KÖRTE
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